Ich wurde von Fontes heller Stimme geweckt. Er sprach
mit einem Gnom, der mit einer stark nach Bergamott
duftenden Kanne Tee in unserem Zimmer stand. "Du
brauchst Dich nicht zu entschuldigen. Du hast uns genau
zur richtigen Zeit geweckt. Wenn man nicht mindestens
eine Stunde geritten ist, hat man nicht das richtige
Gefühl für das Wunder des Sonnenaufgangs. Wir machen
uns eilig fertig!"
"So umgehend wie geschwind" , lachte der Gnom und
klopfte Fontes auf den Rücken.
Nach einem schnellen Frühstück wurden wir vor den
Fürsten geführt. Tiedgi hielt wieder die Kristallkugel
in der Hand. In förmlichen Worten dankte er uns noch
einmal und versicherte, jeder von uns sei in seinem
Land jederzeit willkommen. Er wünschte Fräulein Kommer
eine gute Heimkehr und trug ihr Empfehlungen an den
Kanzler auf.
Dann bat er um Verständnis dafür, daß er uns nicht nur
zu unserer Sicherheit sondern auch im Interesse seines
Volkes eine Begleitung bis Samdavjun mitgeben werde.
Franksi sei nicht nur ein Mitglied des Grauen Ordens,
sondern auch einer seiner Untertanen gewesen. Falls
Fontes etwas aus der Hinterlassenschaft in der Kapelle
entfernen wolle, bedürfe er der Genehmigung der Gnome.
Dann legte der Fürst die Kristallkugel aus der Hand und
war wieder der freundliche Alte, der uns das schöne
Fest beschert hatte.
"Ihr werdet mit der Begleitung zufrieden sein", lachte
er und ging mit uns nach draußen auf den Hof. Dort
hielten kleine Männer unsere gesattelten Pferde. Drei
leichtgerüstete Gnome saßen reisefertig auf grauen
Rennkamelen.
"In den Sattel, Männer!" erklang Martinas fröhliche
Stimme.
"Wir wollen aufbrechen".
"Laßt Euch von ihr nicht herumkommandieren", rief
Tiedgi. "Seit sie aus der Stadt zurück ist, hockt sie
im Turm über ihren Büchern. Ich habe ihr befohlen,
mitzureiten, weil sie Bewegung braucht. Sie wird
allmählich faul und fett und träge".
Unter dem Lachen und Winken der Gnome ritten wir durch
das Tor. Die Sterne wurden fahl. Als die Sonne über dem
Horizont aufging, hielten wir an und drehten uns um.
Der weißgoldene Turm schimmerte im Morgenlicht wie ein
Juwel. Während die Sonne höherstieg verschwand das Bild
in den Schleiern der schützenden Illusion. Wir sahen
auf die braunen Hänge des Kirpan-Gebirges. Dort wo der
Turm gestanden hatte, war die Gebirgsflanke nun von dem
hellen Streifen eines frischen Abbruchs markiert.
Die Sonne schien auf ein stummes Land voller lebloser
Steine.
Pferde, Kamele und Maultiere setzen ihre Hufe
vorsichtig zwischen scharfkantiges Geröll. Erst nach
zwei oder drei Stunden wurden die Geröllbrocken kleiner
und die Tiere beschleunigten ihre Schritte über festen
Kieseluntergrund und harten Sand. Wir ritten in eine
Senke und folgten einige Stunden einem ausgetrockneten
Flußlauf mit feinem weichen Sand.
Am frühen Nachmittag verließen wir die Senke, um einen
langgestreckten Hügel hinaufzureiten. Hier wuchs
braunes Gras und gelegentlich auch spärliches trockenes
Gebüsch.
Während wir bis jetzt in langer Reihe
auseinandergezogen geritten waren, so daß eine
Unterhaltung nicht möglich war, rückte die Gruppe auf
der leichten Steigung näher zueinander auf.
Fontes begann höflich ein Gespräch mit Martina und
fragte sie, was sie denn im Augenblick lese. Martina
antwortete heiter, sie beschäftige sich mit Buris
Feldzug gegen die Arditen. Fontes war entzückt. Dieses
sehr lehrreiche Buch kenne er auch, und er begann in
der ehrwürdigen Sprache unserer Vorfahren den Anfang
des Textes zu rezitieren.
Donisl drängte seine Stute gegen die meine und grinste
boshaft, er habe eine sehr ungute Vorahnung, aber er
wolle trotzdem das Schauspiel unbefangen genießen.
Und Fontes geriet auch schon bei der Stelle ins
Stocken, als Buris Truppen das erste befestigte Lager
an der Grenze zum Feindesland errichteten. Martina half
Fontes über die Stelle mit den hölzernen Palisaden
hinweg, aber Fontes kam jetzt stark ins Schwimmen.
Martina meinte freundlich , wenn Fontes den Text nicht
mehr wortgetreu wisse, solle er ruhig frei
nacherzählen. Doch Fontes verhedderte sich rettungslos.
Als ihm eine schöne rhetorische Neuschöpfung gelang.
wurde Martinas Stimme strenger. Sie bat den Mönch, ihr
das soeben vorgetragene Oxymoron näher zu erläutern.
Donisl flüsterte, jetzt sei Vorsicht der bessere Teil
der Tapferkeit, und wir sollten doch lieber etwas
weiter zurückfallen. Ein Hund solle sich eben nicht am
Stock des Schäfers reiben.
Aus sicherer Entfernung sahen wir, wie Fontes noch eine
Zeitlang neben Martina herritt und wild mit den Armen
gestikulierte.
Der arme Kerl war am Rande der Vernichtung.
Dann stieß Fontes seinem Maulesel die Fersen in die
Seite und ergriff die Flucht nach vorne zu den beiden
weit voraus reitenden anderen Gnomen.
Martina lachte und rief irgend etwas Versöhnliches
hinterher.
Aber Fontes sah sich nicht um.
Am späten Nachmittag ließen die Gnome uns in einer
kleinen Senke anhalten. Fontes war immer noch beleidigt
und meinte, wir würden einen halben Tagesritt
verschenken, aber Martina antwortete fröhlich, der
Fürst habe eine bequeme Reise angeordnet, und wir seien
schon näher an der Kapelle, als Fontes vielleicht ahne.
Die beiden anderen Gnome unserer Begleitung waren
lustige Burschen aus der Leibwache des Fürsten. Der
jüngere sagte, er wolle noch ein kleines Stück
vorausreiten und dann in einem weiten Bogen
zurückkehren, um auch den unwahrscheinlichen Fall
auszuschließen, daß sich noch andere Reiter in diesem
Teil des Landes aufhielten.
Der ältere, offensichtlich erfahren im Umgang mit
starrköpfigen Jugendlichen, bemühte sich, Fontes Laune
wiederherzustellen.
Er fragte ihn ernst, wo wohl der beste Platz für das
Feuer sei, und wo die Pferde und die Kamele weiden
sollten. Fontes überraschte uns mit der umwerfenden
Neuigkeit, Pferde und Kamele würden am besten getrennt
gehalten, und er bestimmte ohne Widerspruch zu dulden,
den Platz für die Feuerstelle. Als er mit dem Gnom Äste
für das Feuer suchen ging, gelang ihm schon ein
schwaches Lächeln.
Der Fürst hatte reichlich einpacken lassen und so
hatten wir zu unserem Mahl sogar etwas Wein, den wir
mit Wasser verdünnten. Während des Essens versuchten
alle, mit Martina näher bekannt zu werden. Nur Fontes
hielt sich noch vorsichtig entfernt.
Martina hatte an der Universität von Ber Gama die alten
Sprachen studiert und dort vor einigen Monaten den
Magister gemacht. Alle waren gebührend beeindruckt und
der Barbar Trent d' Arby sogar etwas verlegen.
Um dies zu überspielen erzählte Martina, die einen
ausgeprägten Sinn für das Lächerliche zu haben schien,
von einigen tollen Studentenstreichen, die sie zusammen
mit anderen auf der Universität verbrochen hatte. Sie
log dabei so schamlos, daß Donisl sich an seinem Wein
verschluckte und ich ihm kräftig auf den Rücken
schlagen mußte.
Martina erzählte gerade von einer Abschiedsfeier für
den alten Pimpardil, bei der sie und eine Freundin sich
in weißen Nachthemden als Engel verkleidet in den
Festzug eingeschlichen hätten. Mit den Honoratioren
seien sie bis in den Heiligen Bezirk gelangt und hätten
von der Festtafel in den Arkaden jede eine Torte
gestohlen, während drinnen im Tempel die feierlichen
Reden gehalten wurden.
Etwas später ging mir auf, daß ich Pimpardils Namen
noch nie im Zusammenhang mit den alten Sprachen gehört
hatte und fragte mich, warum der Magier sich gerade in
dem Augenblick verschluckt hatte , als dieser Name
erwähnt wurde.
Trent d'Arby war nun zutraulich geworden und faßte
Martinas Hand, um ihren Daumenring zu bewundern, eine
schöne milchig weiße Jade mit glitzernden grünen
Punkten. Er lobte den Ring und fragte Martina, warum
sie während des Reitens einen Handschuh mit drei
Fingern getragen habe, wo es doch ausreiche,
Zeigefinger und Mittelfinger mit Leder zu schützen.
Martina wollte das auf der Stelle erklären und während
Fontes und der ältere Gnom abräumten, holte sie ihren
Köcher.
Die Pfeile waren zu zwei Reihen übereinander
angeordnet. Martina zog ihren Handschuh über und
zeigte, wie sie mit einer Bewegung zwei Pfeile in
Federn-Abstand aus dem Köcher holte, wobei der erste
über dem Daumenring lag, der zweite zwischen Mittel-
und Ringfinger gehalten wurde.
Trent d'Arby hielt das für Spielerei. Einen Pfeil nach
dem anderen, ruhig spannen und gleichmäßig schießen,
das ergäbe genug Geschwindigkeit. Der zweite Pfeil
neben der Sehne würde nur stören.
Ein grinsender Gnom reichte Martina den Bogen. Der
andere suchte im Hang eine sandige Stelle ohne Steine
und zeichnete einen Kreis. Martina hängte den Köcher
über die Schulter, rückte ihn zurecht und trat einen
Schritt vor. Der linke Fuß zeigte auf das Ziel, der
andere stand dazu in einem fast rechten Winkel. Dann
griff sie über die Schulter und hob den Bogen. Die
Sehne brummte. Wieder sahen wir die fließende Bewegung
und dann noch einmal. Sechs Pfeile steckten in dem
Sandkreis, drei Serien jeweils eine Handbreit
voneinander entfernt.
"Donnerwetter", brüllte Trent d'Arby, "und wie sieht es
vom Pferderücken aus?" "Bestens", sagte Martina. "Aus
weiter Entfernung ist es sehr gut , wenn viele auf den
Feind schießen.
Aber auch wenn der Abstand kürzer wird, nehme ich noch
zwei Pfeile".
Wir gingen zu dem Ziel, um die Pfeile wieder
einzusammeln.
"Onkel Gregor", sagte der Barbar, "diese Gnomenfrau hat
unsere Gruppe beschämt. Zeig ihr, wie ein alter Schmied
mit dem Hämmerchen Felsen zertrümmert".
"Ja, wirf den Hammer, Onkel Gregor", pflichtete Loger
bei.
"Nun", sagte ich, "mit dem Bogen schießen ist eine edle
Kunst. Werfen ist dagegen fast unfein". Fontes war
herangeschlendert.
"Auch Werfen ist eine Kunst", sagte er. "Auf dem Hof
meines Vaters haben wir Jungen Wettbewerbe gemacht, und
ich war immer der Beste".
"Natürlich warst Du der Beste", stichelte der Magier.
"Zeig uns das Kunstwerfen".
Fontes überhörte den Spott und suchte fünf runde
Steine. Er warf den ersten ein gutes Stück weiter weg
auf eine Sandfläche, und zielte dann mit dem zweiten.
Der zweite Stein traf den ersten und ließ ihn
hochhüpfen. Der dritte, vierte und fünfte Stein folgten
und wirbelten den ersten Stein immer ein Stück weiter.
"Bravo", höhnte Donisl. "Damit gewinnst Du auf dem
Marktplatz jedes Steinballspiel. Darf ich gelegentlich
auf Dich wetten?"
Fontes wurde rot. Er band den Strick von seiner Mitte
und knüpfte mit einer geübten Bewegung eine Schlaufe.
Dann suchte er einen weiteren Stein und legte ihn auf
die Schlaufe. Bei der dritten Schleuderbewegung flog
der Stein los, traf den schon viermal getroffenen Stein
und ließ ihn zerplatzen.
"Gut!" rief Trent d'Arby. "Das ist die erste und
älteste der Kriegskünste. Den dicken Stein dahinten! "
Fontes suchte einen runden Stein, etwas kleiner als
faustgroß und sagte: "Ich stelle mir vor, der Stein
dahinten ist ein fetter Magier. Paß auf, Donisl!"
Dann flog der Stein in einem flachen Bogen aus der
urtümlichen Schleuder. Wir folgten seiner Bahn, der
Stein senkte sich und traf den dicken Brocken mit einem
dumpfen Ton in der Mitte. Der Brocken zerfiel langsam
in zwei Hälften.
"So viel zu Hexern", meinte Fontes und band den Strick
wieder um. Donisl nickte dem Mönch zu. "Bruder Fontes,
Du bist ein wahrer Mann des Friedens. Deine Wahl, in
den Grauen Orden einzutreten, war genau die richtige.
Du gehörst hinter ganz dicke Klostermauern".
Fontes tat so, als suche er einen neuen Stein und
Donisl lief lachend zurück zu dem Feuer. Die beiden
Gnome und Trent d'Arby holten die Pferde, die Maultiere
und die Kamele näher heran, und nach Fontes' Rat
pflockten wir die Kamele auf der anderen Seite des
Feuers an.
Martina erzählte weiter von ihrer Zeit auf der
Universität, aber diesmal mit einem schwärmerisch
ernsten Unterton. Sie hielt die alten Sprachen nicht
nur für die beste Schulung des Geistes, sondern auch
für eine Erquickung des Gemüts und der Seele. Sie
rezitierte in freier Übersetzung das berühmte
Liebesgedicht des Romma an die Waldnymphe, bis Trent
d'Arby mit einiger Verärgerung sagte, soviel Gemüt sei
für ihn zu viel.
Donisl lenkte ab und meinte, die Alten seien vor allem
mutige Krieger und kühne Strategen gewesen. Er trug als
Beispiel Buris Bericht über den Flußübergang vor. Davon
verstand der Barbar nun einiges. Er pflichtete Buris
Befehlen im wesentlichen bei, hielt es aber für
ungeschickt, die Reiter einzeln den Fluß überqueren zu
lassen. Das führe nur zu dummem Streit und unnützer
Rivalität, wer als erster am Feind sei. So habe er mit
irgendeinem Freund anläßlich einer kleinen
Grenzstreitigkeit mit dem Ostreich ein Wettrennen zum
dortigen Grenzfluß gemacht. Vorher habe er natürlich
den Sattelgurt seines Freundes heimlich gelockert.
Dieser habe mit seinem besseren Pferd als erster das
Flüßchen erreicht, sei aber dann sehr schön mit Gebrüll
und Sattel im Wasser verschwunden. So habe er zwar das
Wettrennen gewonnen, die Sache hätte aber auch schlecht
ausgehen können, wenn die feindliche Patrouille nicht
Hals über Kopf geflohen wäre. Außerdem sei sein Freund
dann noch eine halbe Stunde hinter ihm her gelaufen und
habe ihn mit dem Speerschaft verprügeln wollen.
Das erinnerte Fontes an die Geschichte, wie er die
Hosen seines ältesten Bruders am Sonntag vor dem Gang
in den Tempel mit einer Handvoll Kletten gespickt
hatte, und einige Zeit tauschte die Runde nun ähnliche
Erinnerungen aus. Schließlich gebot ich Ruhe. Ich würde
die erste Wache übernehmen, das sei ein Vorrecht meines
Alters. Loger sollte die zweite Wache wegen seiner
Nachtsicht nehmen, die dritte Wache sollte der Barbar
gehen und . . . "Ich weiß schon", sagte der ältere
Gnom. "Ich mache den Tee und wecke Euch". So viel zu
Anordnungen des Fürsten über eine bequeme Reise.
Am nächsten Morgen war es sehr kalt. Das Frühstück und
der Tee konnten uns nur für kurze Zeit erwärmen. Nach
einem halbstündigen Ritt warf Fontes die Zügel seines
Maulesels dem Magier zu, sprang ab und hängte sich an
meinen Steigbügel. Nach einer weiteren halben Stunde
ließ Martina ihr Kamel niederknien und gab die Zügel
dem jungen Gnomen. Am Steigbügel des Barbaren lief sie
weiter. Ich sah, wie Raffaela auf ihrer Stute einen
durchfrorenen und unglücklichen Eindruck machte und
offenbar mit einem Entschluß rang.
"Nur zu, nur zu!" rief Loger, "steig ab und versuch es
auch".
Raffaela hielt dankbar ihr Pferd an und stieg mit
steifen Gliedern aus dem Sattel. "Komm zu mir", sagte
Loger und nahm die Zügel der Stute. "Häng Dich leicht
in meinen Steigbügel und los geht es. Laufen sollte
jeder können. Es ist manchmal sehr nützlich". Dann ritt
er in langsamem Trab los.
Zuerst zählte er Raffaela die Schritte vor, links und
links und links und links. Dann zählte er für den Atem.
Ein und ein und aus und aus. Stärker ausatmen!
Als Raffaela nun merklich freier neben ihm lief, begann
er einen Singsang, den er irgendwann einmal von einem
Soldaten aufgeschnappt haben mochte, und Raffaela mußte
jetzt statt des lauten Ausatmens seine Worte
wiederholen. Aufrücken, aufrücken, Lanze heben, Lanze
heben, Lanze senken, Lanze senken, Spieß nach vorne,
Spieß nach vorne, Hurra. "Das Hurra sollst Du laut
schreien, Mädchen. Das macht die Lungen frei". Raffaela
schämte sich aber und ihr Hurra kam nur kläglich.
Da begannen Martina und Trent d'Arby mitzusingen und im
gröhlenden Hurra des Barbaren gelang auch Raffaela ein
annehmbares Geschrei. Es klang bald wie der Angriff
einer mittleren Armee, und die Springmäuse würde es
sobald nicht wieder wagen, aus ihren Löchern
herauszukommen. Als das Lied abgenutzt war, begann
Donisl zu improvisieren. Er sang im Rythmus der Läufer
den Text von "Des Hauptmanns junge Frau". Er sang
allein, nur das Hurra mußten die Läufer noch rufen. Als
der empörte Fontes schon aus dem Tritt gekommen war,
und Martina schon gluckste, rief nur noch Raffaela an
einer sehr zweideutigen Stelle "Hurra", und das Laufen
war damit beendet.
Trent d'Arby brüllte vor Freude, und der ältere Gnom
schlug sich so auf die Schenkel, daß sein Kamel einen
erschreckten Satz machte.
Ich ordnete an, daß alle absteigen und Stück gehen
sollten, damit die Beine der Läufer geschmeidig
blieben. Loger lobte Raffaela sehr, sie sei immerhin
mehr als zwanzig Minuten flott gelaufen, und das sei
für eine Stadtpflanze schon eine Leistung. Raffaela war
über sich selbst erstaunt und sehr mit sich zufrieden.
Sie fragte Loger nach dem genauen Text des Liedes, das
Donisl gesungen hatte, und ich war froh, daß dieser
antwortete , er kenne selbst die letzten Strophen nicht
so richtig. Der Kanzler Kommer wäre bestimmt nicht
beglückt, wenn seine Tochter eines Tages unversehens
"Des Hauptmanns junge Frau" zur Harfe singen würde.
Die Sonne ging auf, und mit ihr kehrte die Wärme
wieder. Bald konnten alle getrost aufsitzen und den Weg
auf Pferde- oder Kamelrücken fortsetzen.
Wir ritten einige Stunden über dürres Gras, bis wir in
eine neue andersartige Felsenlandschaft kamen. Die
Felsen waren erst mannshoch wie an der Stelle, an der
wir in Shandris Hinterhalt gelaufen waren. Dann wuchsen
die Felsen haushoch und höher. In ihrem Schatten hielt
sich genug Feuchtigkeit, um grünes Gras und Büsche mit
richtigen grünen Blättern wachsen zu lassen.
Unser Staunen war groß und die Gnome schmunzelten. Bald
würden wir wirklich staunen können. Wir ritten um einen
gewaltigen Felsen in eine kleine Senke. Vor uns lag die
Stelle, die Fontes in unserer ersten Nacht in der Wüste
mit einer hellseherischen Vorahnung beschrieben hatte.
Es war ein kleiner See mit klarem blauem Wasser und
schilfbestandenem Ufer. Reiher waren zwar nicht da,
aber wunderbarerweise stakste ein Storchenpaar durch
das flache Ufer und wühlte mit den roten Schnäbeln im
Grund.
"Das ist Samdavjun", sagte Martina und zeigte nach
vorne.
Auf einem Felsen hinter dem See erhoben sich die Reste
eines alten Wachtturms, an dessen Fuß einer kleiner
Anbau gemauert war.
"Laßt die Tiere laufen", sagte einer der Gnome. "An
diesemOrt droht keine Gefahr".
Fontes kniete am Rand des Sees nieder und ließ die
Hände durch das Wasser gleiten. "Es ist wie ein Wunder.
Hier braucht der Mensch wirklich keine Illusionen
mehr". Nachdem die Tiere abgesattelt waren und jeder
sich am Wasser erfrischt hatte, stiegen wir über einige
steile Stufen zur Kapelle hinauf. Die Holztür stand
einladend offen.
"So hat er es immer gehalten", sagte Martina. Im ersten
Raum standen ein großer Tisch mit zwei Bänken und einer
Schlafbank an der einen Seite, auf der anderen Seite
war ein Kamin mit einem kleinen Holzvorrat. Neben dem
Kamin standen Kochgeräte und leere Krüge. An der
Stirnseite des Raumes gingen links und rechts je eine
Tür ab.
"Die linke geht in Franksis Zelle", sagte Martina,
"dorthin soll der Mönch später alleine gehen. Die
rechte Tür führt in die Kapelle". Wir gingen durch die
rechte Tür und standen im Fuß des alten Wachturms. Die
Wände waren weiß getüncht. Als einziger Schmuck war ein
schwarzer Felsblock in der Mitte des Raums aufgebaut
und darauf stand in angelaufenem Messing eine große
runde Scheibe als Zeichen der Welt der Harmonie mit dem
Stern des Nordens oben und dem Kreuz des Südens unten.
Dies waren auch das Symbol für Mann und Frau im Kreis
der Gemeinsamkeit.
Fontes nahm die Kette von seinem Hals und ließ die
Kugeln durch die Finger gleiten. Er rief den Vater der
Welt und die Mutter der Welt an und sprach mit klarer
Stimme das Gebet des Friedens für alle. Als er endete,
herrschte Stille in der Kapelle. Fontes erwachte aus
seiner Versenkung und sah uns an.
"Ich weiß nicht, welche Götter Ihr verehrt, aber ich
danke Euch für Eure Andacht". "Schluß mit der Andacht",
sagte Donisl, "jetzt geht es an die Arbeit. Raffaela
macht das Grobe. Schneide Dir einen Besen aus Schilf
und fang an zu fegen. Der Dieb sieht nach, ob alle
Türen gängig sind. Der Schmied putzt die Küchengeräte.
Der Barbar holt feinen Sand vom See und bringt die
Scheibe der Harmonie so zum Glänzen wie eine polierte
Klinge. Der Mönch und die Gnome gehen in Franksis
Zelle, und ich beaufsichtige alles. Los Leute, bewegt
Euch!"
Wir waren schon lange vor Sonnenuntergang fertig. Ich
stieg auf die Spitze des Turms und sah in die Wüste. So
mochte auch Franksi seine Abende verbracht haben. Der
Blick nach Süden zeigte kalte Steine und leblosen Sand.
Weit in der Ferne war eine dunkle Anhöhe, hinter der
das Gasthaus von Rok Had liegen mochte. Der Blick nach
unten zeigte den tiefblauen See. Die Störche waren
verschwunden, aber jetzt liefen Leute am Ufer hin und
her, und an einem gelben Feuer hockten einige
Gestalten.
Ich hörte den Gesang einer weiblichen Stimme und stieg
hinunter.
Martina trug Franksis Lieder vor und begleitete sie mit
Hilfe der beiden anderen Gnome nicht mit deutlichen
Illusionen, sondern mit kleinen Lichtern und zarten
Farben. Das Lied von dem Mantel der Nacht sangen
Martina, Raffaela und Fontes zusammen.
Ich wickelte mich in meine Decken und schlief ein, ohne
an Wachen und ähnliche nutzlose Sachen zu denken.
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