Ich wurde diesmal nicht durch klingelnde Steigbügel
geweckt, sondern von den Strahlen der Morgensonne und
schrak hoch.
"Onkelchen", sagte der Barbar, "wir haben Dich schlafen
gelassen, aber es ist noch etwas Tee übrig. Der Mönch
betet schon seit Stunden in der Kapelle, der Magier
meditiert dort drüben auf den Felsen, und ich will
gleich mit Dir und dem braven Soldaten Loger auf einen
Erkundungsritt, denn die beiden Mädchen wollen den See
etwa eine Stunde für sich alleine haben".
Ich war verlegen wegen des langen Schlafs, aber der
Barbar und Loger grinsten mich fröhlich an, und so ließ
ich mir auch beim Frühstück Zeit. Dann sprangen wir in
die Sättel und ritten los. Loger meinte, wir brauchten
nicht nach Süden zu reiten, man könne weit genug in die
Wüste sehen. Wir sollten lieber die nähere Umgebung
erkunden.
Wir fanden noch zwei Stellen mit freiem Wasser. In
einem der beiden Tümpel schwammen träge zwei
Goldfische. Die Legende sagt, daß die Fische im Schlamm
schlafend die Jahre überstehen, wenn ein solcher See
austrocknet. Dann entdeckten wir unter einem
überhängenden Felsen eine Höhle, die Logers Interesse
aufs Höchste ansprach. Aber wir waren schon seit mehr
als einer Stunde unterwegs, also ritten wir zurück.
Wir wurden von zwei strahlenden Schönheiten empfangen.
Raffaela war seit zehn Tagen zum ersten mal wieder
richtig sauber, und beide Mädchen hatten die Haare
gewaschen und trugen sie offen. Loger pfiff
anerkennend, der Barbar brummte, aber Donisl fand
schnell viele schöne Worte über Sonne, Mond, Sterne,
dunklen Samt und gelbe Weizenfelder und was es sonst
noch so gibt. Aber wehe dem verstaubten Reisenden in
der Gegenwart von zwei blitzblank gewaschenen Frauen.
Raffaela fielen Donisls Worte über Logers Frisur ein,
und der Ärmste mußte Mantel und Rüstung ablegen und
sich am Uferrand auf den Boden setzten. Beide Mädchen
waren sich einig, daß einiges von der Haarpracht
herunter mußte. Ein strenger Schnitt würde am besten zu
dem langen dunklen Mantel passen. Loger wandte
vergeblich ein, der Mantel solle sich doch lieber
seinen Haaren anpassen, aber schon wurde sein Kopf nach
vorne gedrückt, um die Haare zu waschen.
Donisl holte aus seinen unergründlichen Taschen eine
Schere und ein Rasiermesser heraus, und dann ging es
los. Trent d'Arby hielt Logers Schopf mit eisernem
Griff, als der Nacken und die Seiten ausrasiert wurden.
Im Spiegelbild des Wassers mußte Loger allerdings
zugeben, daß eine gewisse Verbesserung erreicht worden
war. Dann wurde hier eine Haarsträhne abgeschnitten,
dann dort und dort.
"Noch etwas strenger", sagte Raffaela, "das bringt sein
Profil besser zur Geltung".
Ich bedeckte die Augen mit der Hand. Noch ein paar
Minuten hörte ich aufmunternde Frauenstimmen und das
Klappern der Schere. Dann folgte verhängnisvolle
Stille. Ich sah auf.
Am Ufer saß Loger, der Gerupfte, und starrte entsetzt
in das Wasser. "Weiter festhalten, Trent!" ermunterte
Donisl. "Wie sagte der alte Pimpardil immer? Es gibt
kein Unglück, dem nicht noch ein größeres Unglück
folgen kann". Dann holte er tief Luft und hob die
Hände. Martina wußte offenbar, was folgen würde. Mit
weiblicher Fürsorge legte sie ihre zarten Zeigefinger
über Logers Augenbrauen.
"Haare, Haare! Haare, Haare!" sang Donisl. "Halt ihn
für zehn Minuten fest, Trent! Laß nicht los!" Dann
raffte er seine Robe und lief weg.
Mir traten Tränen der Erinnerung in die Augen. Vor
langer Zeit einmal hatte ich dieses Sprüchlein, es ist
kein wirklicher Spruch, gegen einen Hofhund angewandt,
der partout nicht glauben wollte, daß ich diesen
Schinken aus der Räucherkammer ehrlich nur ausleihen
wollte. Das Hundchen hatte sich nach einigen Sprüngen
in sein wildsprießendes Fell verwickelt und die
Verfolgung aufgeben müssen.
Nun sahen alle andächtig auf Loger. Vor wenigen
Augenblicken war er glatt rasiert gewesen. Jetzt glich
er einem Höhlenork. Ein schwarzer Bart sproß wie die
Stacheln eines Igels von seinen Wangen. Mit der Fülle
seiner Haare wäre Loger selbst von der philosophischen
Fakultät relegiert worden. Loger brüllte, aber Trent
d'Arby hielt eisern fest. Jetzt tänzelte Donisl wieder
heran.
"Halt den Mund, Du Wurm!" sagte er. "Die
vernuftbegabten Wesen wollen denken. Wir machen jetzt
eine Zeichnung".
Loger sackte in sich zusammen. Der Magier zeichnete ein
Profil in den Sand. "Wir gehen weiter von einem
strengen Schnitt aus. Aber der Zopf sollte in einer
Locke enden, und hier an der Seite wollen wir auch eine
Locke haben. Gefällt das den Damen?"
Beide Mädchen waren zufrieden. "Und glatt rasiert hat
er mir auch nicht gefallen. Wir wollen ihm einen dicken
Schnurrbart schneiden, der bis unter die Mundwinkel
herunter geht. Das betont das Gemeine an seinem
Charakter".
"Nein", meinte Raffaela. "Er ist nicht gemein. Ihr sagt
das nur alle. Loger ist ein sehr netter Dieb". Loger
stöhnte.
"Es gibt in Ber Gama in dieser Saison einen
phantastischen neuen Schauspieler. Er spielt immer den
jugendlichen Liebhaber, und ich bin ganz hingerissen,
und ich habe auch ein echtes Autogramm von ihm, und er
ist wirklich himmlisch. Er hat ein ganz kleines
Bärtchen, nur zwei Striche über der Oberlippe, so und
so". Raffaela zeichnete zwei winzige Striche in den
Sand.
Donisl trat sinnend zurück. "Es könnte passen", meinte
er. "Laßt es uns versuchen".
Loger war nun völlig willenlos. Donisl klapperte mit
der Schere. Seine Gesicht zeigte nicht mehr den
Ausdruck schelmischer Bosheit sondern höchster
Konzentration. Er schnitt Logers Haare … la jeun
prince, straff aber einen Hauch verspielt. Er band den
Zopf mit einem schwarzen Band, und die Locke lag in
natürlicher Anmut über Logers Schulter. Die beiden
Seitenlocken waren kurz und eng gedreht, aber anders
einfach nicht denkbar. Mit dem Rasiermesser vollbrachte
Donisl ein Wunder. Ein hauchfeines Bärtchen lag in
keckem Strich über Logers Lippen.
Falls Donisl einmal von der reinen Magie nicht mehr
würde leben können, könnte er als Modefriseur in der
Hauptstadt immer noch Reichtümer verdienen. Er
feuchtete eine Locke an und machte einen Strich mit dem
Kamm. Dann trat er zurück. "Perfekt, einfach perfekt!.
Du brauchst mir nicht zu danken. Dieser Anblick ist
mein Lohn".
Martina und Raffaela sahen Loger mit glänzenden Augen
an. "Himmlisch" seufzte Raffaela, "ich könnte mich
glatt in Dich verlieben". Loger stand mit hängenden
Schultern. Er antwortete giftig: "Ich werde bei
Gelegenheit daran denken".
Durch diesen groben Undank enttäuscht, zogen sich die
Mädchen kichernd zurück, und ich hörte, wie Raffaela
von dem Schauspieler erzählte, als er in dem Stück
"Kinder der Wildnis" in das Zelt des bösen
Räuberhauptmanns eindrang und die gefangene Prinzessin
befreite.
Loger stand vor dem See und sah in sein Spiegelbild.
"Die Frisur geht an. Ich will sie so lassen, auch wenn
diese Gans, ihre Komplizin und der Hexer sich die ganze
Zeit über mich lustig gemacht haben. Aber das Bärtchen
bringt mich um. Ich nehme es runter". Er kniete am
Wasser nieder.
"Loger", sagte ich. "Du reitest seit einigen Tagen in
einer Gruppe. Die Gruppe sieht Dich vielleicht anders,
als Du Dich selbst siehst. Du hast von einem
interessanten Kaufmann Kleider gekauft, die Deine
Erscheinung verändert haben. Diese Veränderung hast Du
selbst gewollt. Heute haben Dich ein Magier und zwei
Mädchen, die Du unter anderen Umständen nie
kennengelernt hättest, nach ihren Vorstellungen weiter
verändert, auch wenn es dabei sehr lustig zuging. Du
solltest ganz ernsthaft bedenken, daß Du jetzt so
aussiehst, wie sich die Enkelin eines Fürsten und die
Tochter eines Kanzlers einen jungen Mann vorstellen,
wenigstens ungefähr. Die eine ist zwar nicht von Deinem
Volk, die andere hatte das Bild eines Schauspielers vor
Augen. Aber beide haben in der Hauptstadt gelebt und
verkehren in den besten Kreisen.
Loger sah wieder in das Wasser. "So ein Bärtchen trägt
nur ein Geck. Ich kann es nicht ausstehen".
"Loger", sagte ich wieder, "die Idee ist aber gut. Laß
das Bärtchen etwas wachsen, bis es ein kleiner flotter
Schnurrbart ist".
Loger sah zweifelnd in das Waser.
"Hör zu, mein Junge", versuchte ich es wieder. "In
Deiner früheren Aufmachung konntest Du auf dem
Viehmarkt den Bauern den Beutel abschneiden. Arme Leute
zu bestehlen ist nicht fair und bringt nichts ein, und
ist wohl auch nicht Deine Art, wie es Fontes erzählt
hat. So, wie Du jetzt aussiehst, kannst Du getrost auf
den Rennplatz gehen, zu den Reichen. Das bringt für
Dich und die Gilde schon etwas mehr".
Loger war fast überzeugt. Ich bohrte weiter.
"Wie weit bist Du mit Deiner Ausbildung?" "Ich bin
Geselle im vierten Lehrjahr. Ich habe mir vorgestellt,
in zwei Jahren oder so zur Meisterprüfung anzutreten.
Aber diese drei Witzbolde haben heute mein
Selbstvertrauen so angeschlagen, daß ich mich in den
nächsten fünf Jahren kaum vor den Ring der Alten trauen
werde".
"Dann stell Dir bitte vor, Du müßtest heute und jetzt
die Prüfung ablegen. Sieh ins Wasser!"
Der Kandidat für die Würde eines Meisterdiebes trat
nach vorne. "Ich sehe einen dunklen Herrn. Sehr flott,
aber vornehm. Etwas geheimnisvoll, das ist das
Elfenblut, und vielleicht auch gefährlich, das ist das
Menschenblut. Aber vor allem vornehm. Das Gesamtbild
ist nicht schlecht. Aber neben dem Ganzen müssen auch
die Einzelheiten stimmen. Auch da bin ich zufrieden.
Nur der Schwertgriff glänzt etwas zu hell".
"Dem kann abgeholfen werden", sagte ich und zeigte auf
den Haufen abgeschnittener Haare auf dem Boden.
"Nein", sagte Loger. "Das ist zu einfach. Jetzt will
ich meine Rache".
Er schlenderte zu der Stelle, an der Martina und
Raffaela saßen und schwatzten.
"Raffaela, Schätzchen", sagte er und strich sich über
die Oberlippe. "Du und die anderen, Ihr habt mich
vorhin geschoren wie ein Schaf. Ich hätte gerne ein
Andenken an Dich und diesen Tag. Schenk mir eine Deiner
Locken".
Raffaela zierte sich.
"Raffaela, denk daran, daß ich Dich aus den Klauen
d'Assels gerettet habe. Wir sind zusammen durch die
Wüste geritten, und gestern bist Du an meinem
Steigbügel gelaufen. Ich verdiene eine kleine
Belohnung. Ich bin doch der nette Dieb".
"Na gut", sagte Raffaela, "aber nicht zuviel, und Du
mußt die Locke in einem Beutel um Deinen Hals tragen".
Schon war der Dolch in Logers Hand, und er machte einen
schnellen Schnitt.
"Besten Dank auch, meine Dame!" Loger verneigte sich
spöttisch und suchte nach einer Sitzgelegenheit. Er
hakte sein Schwert ab und setzte sich auf einen Stein.
Dann begann er mit geschickten Fingern, die Haare in
einem fadendünnen Zopf um den Schwertgriff zu wickeln.
Raffaela zischte böse.
"Nein, nein", lachte der ältere Gnom. "Es ist ein gutes
Omen, wenn ein Mann seinen Schwertgriff mit Frauenhaar
umwickelt. Er klebt dann an der Hand fest wie Mastix".
Ich versuchte, mich mit dem Gedanken zu beruhigen, daß
wir in zwei Wochen oder so das Mädchen und alle Sorgen
los sein würden.
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