ACHTZEHNTES KAPITEL

BARAN
Fontes muß unbedingt Geld ausgeben

Wir ritten an dem einsamen Bauernhof vorbei, auf dem sich noch immer nichts rührte. Dann bekamen wir einen Weg zu fassen, und nach einiger Zeit die Straße. Wir mußten das Tempo unserer Pferde zügeln. Unter den anderen Reisenden, auch wenn es nur wenige waren, wäre es aufgefallen, wenn ein heiterer Mönch neben mir am Steigbügel gelaufen wäre, und am Steigbügel des Barbaren ein hübsches Mädchen verfängliche Lieder gesungen hätte.

Gegen Abend erreichten wir einen Marktflecken. Es war ein hübsches kleines Städtchen mit sauberen Häusern, so wie man es überall im Reich antreffen kann. Auf dem Platz vor dem Rathaus wurden gerade die letzten Verkaufsstände abgebaut. Uns gelang es gerade noch, ein paar Brote zu kaufen, als Fontes mich energisch am Ärmel zog. Er zeigte auf einen Mann mit einer Lederschürze, der ein mageres schwarzes Pferd an einem Strick hinter sich her zog. Das wäre doch das richtige Pferd für Loger. Loger lachte kurz auf, aber Fontes zog mich dringlich hinter sich her.

"Guter Mann", rief er, "was ist das für ein Pferd?" Der Pferdemetzger hielt an. "Das war einmal der Hengst Baran, von Donner und Maiblume, dieser von Windgott und Schneeflocke. Als Dreijähriger hat er die ersten Preise gewonnen und als Fünfjähriger bekam er ein Hufgeschwür. Der Baron hat den Huf wickeln lassen und ihn im Wasser gekühlt. Dann hat er den Heiler gerufen und ihm Silber und Gold bezahlt, aber jetzt geht das Geschwür bis auf den Knochen durch und morgen hängen die Reste von Baran über meinem Ladentisch".

"Was soll Baran kosten?" fragte Fontes."Nun", sagte der Mann, "ich habe zwei Silberstücke für den Kadaver bezahlt und ich rechne mir für das Fleisch sechs Silberstücke aus. Aber wenn ich mir die Arbeit spare, kannst Du ihn für vier Silber haben".

Fontes hielt seine Hand nach hinten. Auf diese vertraute Bewegung legte ich nach einigem Zögern vier Silberstücke hinein. Fontes zahlte und nahm den Strick.

"Nur Mut Baran. Nur ein kleines Stück noch, es tut doch gar nicht so weh". Der Hengst ging langsam hinter Fontes her. Den linken vorderen Huf setzte er kaum auf. Jedes mal, wenn das linke Bein den Boden berührte, zuckte der Hengst zusammen. Er hatte wohl starke Schmerzen und seit Tagen nichts mehr gefressen. Schwach hoppelte er auf drei Beinen hinter Fontes her.

"Bruder Fontes", sagte Trent d'Arby, "Du hast den Verstand jetzt vollständig verloren. Was, sollen wir mit soviel Pferdefleisch?". "Das ist kein Pferdefleisch" sagte Fontes, "das ist ein feuriger Hengst für einen Edelmann. Genau das richtige Pferd für Loger".

Wir brauchten fast eine Stunde, um das kranke Tier außer Sichtweite des Städtchens zu führen. Auf dem Gras ging Baran etwas freier, aber es war zu sehen, daß er bald nicht mehr weiterkonnte. Fontes hielt hinter einem Gebüsch an. Er betastete den kranken Huf und das Pferd zuckte zurück.

"Paß auf, Raffi" stichelte Donisl. "Jetzt werden wir wieder eine Wunderheilung sehen".

"Natürlich", sagte Fontes. "Deshalb war es doch ein Glückskauf. Und jemand muß es ja als Erster ausprobieren, und da habe ich an Loger gedacht".

"Was ausprobieren?" fragte Raffaela.

"Das Geschenk des Fürsten natürlich, kleiner Dummkopf", sagte Donisl. "Der Fürst hat jedem von uns ein Geschenk gemacht, auch wenn Du vielleicht nicht mitbekommen hast, daß jeder eins gekriegt hat. Dein Geschenk war verzaubert, und die Dolche sind es wahrscheinlich auch. Deshalb habe ich mich zuerst gefürchtet, meinen anzufassen. Und was sollte ein Gnomenfürst wohl einsamen Reitern Nützliches schenken? Vorwärts Pferdedoktor!"

Er gab Loger einen Stoß in den Rücken. Loger stolperte nach vorne und kniete sich dann vor dem kranken Hengst nieder.

"Wie macht man das?" fragte er Fontes. "Ganz einfach", erwiderte der Mönch. "Mein Prior hatte auch so einen. Streich mit dem Klingenrücken immer wieder über den Huf. Es kribbelt in der Hand, aber das macht nichts. Paß auf, daß Du den armen Baran nicht aus Versehen schneidest. Mein Dolch ist giftscharf".

Loger zog seinen Dolch aus der Scheide und begann. Nachden ersten Strichen fing der Dolch an, schwach rötlich zu leuchten und Baran zitterte.

"Weiter, weiter", sagte Fontes. "So schnell geht es nun auch wieder nicht. Streich auch mal um den ganzen Huf herum".

Loger führte den Dolch mit sanfter Hand. Plötzlich stöhnte das Pferd und Eiter begann in das Gras zu tropfen.

"Na, es geht doch ganz prima", grinste Fontes. "Was habe ich gesagt?" Der Eiter hörte auf und einige klare Tropfen fielen in das Gras. "Noch ein paar Minuten, Loger", sagte er, "wir sehen schon, wann es soweit ist".

Das Pferd schnaubte und versuchte, den Kopf zurückzuwerfen, aber Fontes hielt fest. Loger strich weiter mit dem Klingenrücken über den Huf und den unteren Teil des Beins. Dann erlosch der schwache rötliche Schein.

"Steck den Dolch jetzt weg, Loger", sagte Fontes, "und tritt zurück. Ich lasse gleich los".

Loger stand auf und ging ein paar Schritte nach hinten. Das Pferd senkte den linken Vorderhuf vorsichtig ab. Dann stutzte es und schlug mit dem Huf auf den Boden.

"Tut nicht mehr weh" nicht wahr, Baran?" sagte Fontes. "Und los geht es". Er ließ den Pferdhals los. Baran galoppierte vom Stand an. Er lief ein Stück und fing dann an zu bocken. Dann war er sich auf den Boden und wälzte sich hin und her.

"Komm zurück, Baran!" rief Fontes. "Hier gibt es Hafer". Baran aber tobte weiter über die Weide vor uns, geriet jedoch nicht außer Sichtweite. "Mach einen Hafersack fertig, Loger , sagte Fontes. Er ist gleich wieder da". Loger ging zu Fontes Maultier und wühlte in der Last.

"Funktioniert das auch bei Menschen?" fragte Raffaela. "Bei Leuten nicht so gut", antwortete Fontes, "aber es geht an". Er griff in seine Kutte. "Hat jemand vielleicht eine Warze? Dann zeige ich es Euch".

Aber niemand wollte sich zur Verfügung stellen. Baran trabte heran und stieß Loger mit dem Kopf an. Dieser hängte ihm den Hafersack um.

"Du schuldest mir vier Silberstücke, sagte ich und Loger zahlte freudig.

Zuverlässig wie eine Uhr weckte uns Fontes zwei Stunden vor Sonnenaufgang.

"Wir sind doch nicht mehr in der Wüste", grollte Trent d'Arby."Ich habe zwei Stunden Wache gehabt und will schlafen"."Wir haben einen genesenden Patienten", sagte Fontes "der wieder hübsch werden muß, um sich richtig wohl zu fühlen. Ich mache den Tee und Du fängst an zu striegeln". Er warf dem Barbaren eine Bürste auf die Decke.

"Dich kannst Du auch gleich striegeln", sagte er, "deine Wolfsfellweste sieht räudig aus".

Er verschwand im Gebüsch und wir hörten Äste knacken. Ein offenes Wasser war nicht in der Nähe und so feuchteren wir nur mit den Wassersäcken irgendeinen Lappen an und fuhren uns damit über das Gesicht.

Trent d'Arby führte mittlerweile die Bürste immer wieder über den Rücken und die Seiten des Pferdes. Nach einer Viertelstunde löste ihn Loger ab und machte weiter. Baran stand die ganze Zeit ruhig da und schien das Bürsten zu genießen. Nach dem Frühstück saßen wir auf. Baran lief frei neben Logers Maultier her und ließ gelegentlich die Mähne fliegen. Loger redete mit ihm. Gegen Mittag umgingen wir eine kleine Stadt und Fontes meinte, Loger solle doch versuchen, den Hengst probeweise für ein kurzes Stück ohne Last und Sattel zu reiten. Loger zog sein Kettenhemd aus und band es mitsamt seinem Schwert auf sein Maultier. Dann stieg er auf den Hengst. Baran wieherte und schlug mit dem Schweif. Loger trieb den Hengst vorsichtig zu einem langsamen Schritt, aber bald fiel er in einen leichten Trab. Es war doch eine Wunderheilung gewesen. Er sehe auf dem umgesattelten Pferd aus wie ein junger Gott, meinte Raffaela.

Nach fast einer Stunde stieg Loger wieder auf das Maultier um. Wir ritten über weite Felder. Die grünen Keimlinge des Roggens standen hier schon eine Handspanne hoch. Die Bauern hielten das Vieh zwar noch in den Ställen, aber die Frühjahrsbestellung war in Gang und Weizen und Hafer wurde ausgesät.

Als wir wieder auf die Straße nach Ber Gama trafen, herrschte dort mäßiger Verkehr. Ich hielt es für ungefährlich, in einem Gasthaus am Wegesrand eine warme Abendmahlzeit zu verzehren.

Wir betraten das Gasthaus allerdings getrennt.Der Magier von den Inseln und seine Schwester saßen an einem Tisch, während wir anderen uns an den Tisch eines jungen Mönchs setzten, der gerade vor uns die Wirtschaft betreten hatte. Der Dieb und der Barbar musterten die anderen Gäste, jeder nach seinen Fähigkeiten und seinem Verständnis, aber es gab keinen Grund zur Sorge.

Die Nacht verbrachten wir wieder in einem Gehölz abseits der Straße und wieder weckte uns Fontes zur rechten Zeit. Am Nachmittag wurde der Verkehr auf der Straße dichter, so daß wir wußten, wir waren kurz vor der Hauptstadt. Loger und Trent d'Arby versuchten weiter, jeden Reisenden zu mustern, aber es war mittlerweile hoffnungslose Mühe. Donisl kniff hin und wieder die Augen zusammen und sah dem einen oder anderen Weggenossen angestrengt nach, bis er meinte, davon bekäme er Kopfschmerzen. Schließlich banden wir unsere Tiere vor einem Rasthof an und setzten uns auf die Bänke vor dem Haus. Donisl bestellte Wein und Wasser und groß ein weißes Pulver in das Wasser, das er dann mit großen Schlucken trank. Er war sich sicher, daß irgendetwas nicht stimmte. Loger pflichtete ihm bei. Er habe einem Schafdieb ein Begrüßungszeichen gegeben, und dieser habe angedeutet, Loger solle sich vorsehen.

Also nahmen wir von dem Rasthof nur einige belegte Brote mit und verließen an der nächsten Kreuzung die Hauptstraße.


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(c) 1993 Holger Provos