Unser erster Reisetag ließ sich gut an. Wir hatten, jedenfalls ich und der Halbelf, üppig gefrühstückt. Unter den schützenden Augen meiner Frau verzehrte Loger zwei Schüsseln Haferbrei, zwei Würste, drei Eier und eine Unmenge Brot. Auch das Mönchlein ließ sich von meiner Frau überreden, nach dem Haferbrei ein Ei zu nehmen. Allerdings nahm Herr von Korvien ihre Bemerkung dazu, er sei ja noch im Wachstum begriffen, etwas übel. Mit siebzehn oder achtzehn Jahren ist man in diesem Punkt noch empfindlich.
Jedenfalls ritten wir frohgemut los, das Mönchlein neben mir, der Halbelf hinter uns. Als er sich seiner Beschützerin so plötzlich beraubt sah, wurde Loger mürrisch und schweigsam. Aber Fontes plauderte munter drauflos und erwies sich als angenehmer Unterhalter. Er war anscheinend von guter Geburt, der vierte oder fünfte Sohn eines Landbarons aus den Hochebenen, dort wo jeder Gerstenhalm nur achtzehn Körner trägt und das Leben hart ist.
In liebevoller Umgebung aufgewachsen, sah seine Familie
in der Heimat keine große Zukunft für ihn und empfahl
ihm, Krieger oder Mönch zu werden. Da er schon früh
geistige Interessen gezeigt hatte, zog er es vor, in
den grauen Orden einzutreten, denn die Grundsätze von
Demut, Gehorsam und Armut waren für ihn verständlich
und entsprachen dem kargen Lebensstil auf dem
befestigten Hof seines Vaters.
Er erzählte stolz von seiner Ausbildung in
verschiedenen Klöstern, von seiner Sprachbegabung und
seinen kalligraphischen Fähigkeiten. Dabei sprach er
in Ehrfurcht von seinem Abt, der für ihn wohl ein
strenger Ersatzvater war. Der Abt hatte ihm aufgegeben,
eine Wallfahrt zu irgendeiner unbedeutenden Kapelle in
der Wüste zu machen, das Heiligtum zu reinigen und dort
zu beten.
Als uns die Frühlingssonne voll über die Berge
entgegenstrahlte, öffnete Fontes ungewollt die tiefsten
Kammern seiner Seele und bekannte mit einiger
Bedrückung, daß er den Beruf eines Barden ergreifen
wolle, wenn er sich nach zehn oder mehr Jahren niederer
Mönchsdienste nicht als würdig erweisen sollte, die
höheren Weihen zu erlangen. Dabei kämen ihm die
geschichtlichen und politischen Kenntnisse, die den
Mönchen vermittelt würden, gut zustatten. Außerdem habe
er eine schöne Stimme, was der Kantor der Abtei immer
wieder betone. Schließlich sei ein Barde auch halb
Sänger und halb Krieger. Dieses Bild schien Fontes
besonders gut zu gefallen.
Um dem Mönchlein eine Freude zu machen, erzählte ich
ihm, ich hätte in meinen Wanderjahren einmal für einige
Zeit einen Barden begleitet, einen wahren Kavalier,
Liebling der Damen, Schrecken der Krieger und bei den
Königen und Herzögen wohlgelitten.
Als ich merkte, wie aufmerksam Fontes zuhörte, spann ich mein Lügengarn weiter und berichtete von gefährlichen Abenteuern, klirrenden Schlachten, Kämpfen mit Drachen und Magiern und romantischen Abenteuern an plätschernden Brunnen in den Höfen prächtiger Schlösser.
So verging der Tag aufs angenehmste, bis wir in die
Nähe des Passes gelangten. Der Paß ist eine
Wetterscheide. Als wir auf der Paßhöhe waren, zogen
dunkle Wolken auf. Bald ritten wir durch strömenden
Regen. Ich zeigte meinen Begleitern ein Wäldchen links
neben dem Saumpfad, und wir ritten hinein. Meine alte
Stute war zu vornehm, um ihr edles Fell zu dicht an die
Rinde eines Baumes zu drücken. So wurde ich fast so
durchnäßt, als wenn wir weitergeritten wären. Die
nervöse Stute des Halbelfen konnte sich nicht
entscheiden, welcher Baum den besten Schutz bot, und
der junge Loger wurde noch nasser als ich.
Nur der Maulesel des Mönchs drückte sich unter einen
Überhang ohne Rücksicht darauf, ob sein Fell etwas
schmutziger wurde. Deshalb war Fontes der einzige von
uns, der den Regen unbeschadet überstand. Ich sah, wie
das Mönchlein einige Zeit mit einem Eichhörnchen
schwätzte, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, was
es in einem Eichhörnchenkopf Interessantes geben mag.
Jedenfalls zwitscherten , niesten und fauchten die
beiden ununterbrochen. Plötzlich machte das
Eichhörnchen einen Satz und verschwand im Laub.
Fontes erzählte mir später, er habe mit dem Tier über
die Vorzüge der Vorratshaltung von Bucheckern gegenüber
Haselnüssen diskutiert, bis aus einem feuchten Erdbau
ein räudiger Fuchs seine Nase herausgestreckt habe, um
einzuwerfen, nur das von einer Haselnußmast lebende
Eichhörnchen schmecke auch richtig nussig.
Fontes schien das Problem immer noch zu überdenken, als
der Halbelf näherritt. Der Regenguß schien seinen
Verstand geschärft zu haben, denn er sprach mich
förmlich an: "Alter Herr, ich wußte nicht, daß Lahee zu
Eurem Gebiet gehört, und ich konnte es auch nicht
wissen. Ich habe in dieser Richtung keinerlei Hinweis
erhalten. Ich weiß auch, daß dies mich nicht
entschuldigt. Wenn Ihr mir verzeiht, biete ich Euch
deshalb von meinen beiden nächsten Einnahmen die Hälfte
an, allerdings nach Abzug der Abgaben für die
Gesellschaft".
Ich bemühte mich um einen strengen Gesichtsausdruck.
"Loger", erwiderte ich, "ich befehle Dir, mich niemals
wieder Alter Herr zu nennen, egal ob jemand zuhört oder
nicht. Du nennst mich für die zwei oder drei Tage
unserer gemeinsamen Reise und später bei jeder
zufälligen Begegnung Onkel Gregor. Und von Deinen
beiden nächsten Einnahmen werde ich das nehmen, was mir
beliebt". "Ja, Onkel Gregor", sagte der junge Dieb,
sichtlich froh, nach den Gesetzen seiner Gilde oder
welchen Gesetzen auch immer, glimpflich davongekommen
zu sein. "Meine nächsten beiden Einnahmen gehören
Euch". "Du kannst Dich jetzt schon nützlich machen",
sagte ich in onkelhaftem Ton. "Wir reiten heute nicht
weiter. Such eine Höhle oder sonst einen Unterschlupf,
in dem wir übernachten können". "Ja, Onkel Gregor",
meinte der Halbelf, "wir können gleich hierbleiben".
Er trieb seine Stute zu dem Überhang, an dem der
Maulesel des Mönchs lehnte, griff in den Efeu und zog
ihn weg. Dahinter lag die vielversprechende Dunkelheit
einer warmen, trockenen Höhle. Ich tat so, als hätte
ich alles längst gewußt, brummelte etwas darüber, daß
die heutige Ausbildung doch nicht so schlecht sei, wie
man allgemein behaupte, und zog meine Stute in die
Dunkelheit hinein. Das Mönchlein war sichtlich
gekränkt, daß sich die Höhle hinter den Hufen seines
Maulesels befunden hatte und machte sich verbissen
nützlich.
Er band die Vorderbeine der Pferde zusammen und suchte
dann Holz für ein Feuer. Als der Halbelf die von dem
Mönch geschlagenen Knoten löste und die Pferde neu
anband, wobei er auch noch etwas über trockenes und
feuchtes Holz murmelte, zog sich Herr von Korvien
beleidigt zurück. Mit zitternder Stimme wies er
daraufhin, es sei allgemein bekannt, daß das Schlafen
in Höhlen verweichliche. Außerdem müsse er seine
Gebetskette noch einhundertmal drehen, um zur inneren
Einkehr für die Nacht zu finden. Er hockte sich einige
Schritte vor die Höhle in den nur noch leichten
Nieselregen und verkroch sich in seiner Kutte, bis er
wie ein regloser grauer Stein mit der Dämmerung
verschmolz.
Loger versuchte derweil mit Stein und Zunder das von
dem Mönch herbeigeschaffte Holz zu entzünden. Als dies
zum wer weiß wievielten Male mißlang, fragte er, ob ich
es ihm gestatte, das Holz mit einem Spruch zu
entflammen. Ich bejahte huldvoll und sah gespannt zu,
wie der Dieb seine bisher unentdeckte Fähigkeit
ausführte. Ich sah auf die Hände, als sie zu formen
begannen, und hörte leider zu aufmerksam auf die
Intonation des Spruchs, statt weiter nebenher auf die
Geräusche unserer Umgebung zu achten.
In dem Augenblick nämlich, als sich das Feuer im
Holzhaufen entzündete, waren die fünf Orks schon
bedenklich nahe heran.
Auf ihr erstes Gebrüll flog zwar das Hämmerchen, das
ich gelegentlich bei mir trage, dem einen Ork mit der
Gewalt eines Drachentritts vor die Brust. Der zweite
Ork wurde von dem Ärmeldolch des braven Loger an einen
Baum genagelt. Aber die restlichen drei waren schon
über das Feuer hinweggesprungen, und wir sahen in ihr
Grinsen und auf die rostigen Schwertspitzen vor unseren
Nasen.
Da erwachte hinter ihnen ein grauer Stein zum Leben.
"Friede sei mit uns, Friede sei mit uns!" hörte ich die
helle Stimme des Mönchs und die eisernen Kugeln der
Gebetskette wirbelten durch die Luft. Mit meinen vom
Feuer geblendeten Augen konnte ich nicht erkennen, ob
es sich um einen besonderen Schwung des Handgelenks
handelte, oder um gute Fußarbeit. Sicher bin ich mir
aber, daß Fontes nur zwei Bewegungen brauchte, um die
verbliebenen drei Orks in das Reich der Träume zu
schicken. So standen wir vor dem lustig flackernden
magischen Feuer und hatten vor uns vier ohnmächtige
Orks liegen, wobei der von meinem Hammer getroffene
bedenklich röchelte, und der fünfte, mit dem Fell an
einen Baumstamm genagelt, leise vor sich hin jammerte.
"Ich habe versprochen, nicht zu stehlen", sagte der
Halbelf. "Ich habe aber nicht versprochen, keine Beute
zu machen".
Er kniete sich hin und begann, die Orks mit schnellen
Fingern zu durchsuchen. Er besah sich jeden Dolch,
jedes Schwert und jede Keule und warf jedes Stück
wieder angewidert auf den Boden. Er fand einige
Kupferstücke, die er zurück in schmutzige Taschen
steckte. Dann betastete er eine Schwertscheide,
zögerte, nahm einen Dolch vom Boden und schnitt das
Leder auf. Drei Goldstücke rollten in seine Hand. Ich
war gerührt. Auch ich hatte in meiner Jugend gelernt,
kleine Dinge mit Sorgfalt zu betreiben.
Nun ging der Halbelf zu seiner Stute und zog mit einer
geschmeidigen Bewegung den Anderthalbhänder, der am
Sattel baumelte, aus der Scheide. Der schlichte Griff
hatte während des Ritts meine Aufmerksamkeit nicht
erregt. Die Klinge jedoch war bemerkenswert. Der Form
nach war es ein Schwert aus Busan, nicht schwer, aber
kräftig und gut zu führen. In der Mitte der Klinge war
eine Rinne zur Gewichtsverminderung eingraviert. Als
ich die Rinne sah, wußte ich, welcher Akt jetzt folgen
würde. Der Akt Drohung und Erpressung. Denn solche
Rinnen erzeugen das schönste Pfeifen, schlägt man das
Schwert schnell durch die Luft.
Loger ließ nun das Schwert durch die Luft sausen. Er
trat zu dem aufgespießten Ork und fing an, in einem
schönen und akzentfreien Ogrisch über die Herkunft und
die Zukunft der Orkrasse zu referieren, über die
besonderen Eigenschaften des Orks und seiner Kumpane
hier und über den Vorzug verschiedener Arten der
Zubereitung von Orkfleisch. Daß auch das Mönchlein
Ogrisch verstand, bemerkte ich an einem Zusammenzucken,
als der Halbelf Vermutungen darüber äußerte, wie, wo
und warum gerade dieser Ork gezeugt worden sei. Nun war
der Ork weichgekocht.
"Herr Soldat", bettelte er, "gebt Gnade. Ich bin sonst
ein redlicher Forstarbeiter. Die anderen haben mich
verführt!"
Loger machte eine Geste und der Ork verstand.
"Junges Herrchen, edler junger Ritter", wimmerte er
jetzt, "wenn Ihr mich laufen laßt, verrate ich Euch
etwas ganz Wichtiges.
Schwört bei der Schlange, daß Ihr mich leben laßt!"
"Nicht bei der Schlange", sagte der Halbelf und hielt
die Spitze seiner Klinge über das Feuer.
"Dann bei der Elster", jammerte der Ork.
"Nicht bei der Elster", sagte Loger und fühlte nach, ob
die Spitze auch genügend erhitzt war.
"Dann bei der Amsel, verdammt noch mal", brüllte der
Ork, "wenigstens bei der Amsel müßt Ihr schwören!"
"Ich schwöre bei der Amsel", sagte Loger, " daß ich Dir
Dein schmutziges Leben lasse, vielleicht auch das
deiner räudigen Kumpane, wenn Du mir wirklich etwas
Schönes zeigen kannst".
"Schönes Herrchen", keuchte der Ork, "geht dort rüber
zu den beiden Eichen am Weg. Dort haben wir vor dem
Überfall ein Paket liegengelassen".
Loger zog mit einem kurzen Ruck seinen Dolch aus dem
Holz. Der Ork verdrehte die Augen und rutsche den Stamm
herunter.
"Bleibt hier und paßt auf", befahl ich meinen
Begleitern, "ich bin gleich zurück".
Mit dem Wurfhammer in der Hand schlüpfte ich in das
Gebüsch und schlich in einem kleinen Bogen auf die
Zwillingseiche am Waldrand zu. Alle Geräusche waren
normal. Nur vom Fuß der Eichenstämme hörte ich ein
mühsames Atmen. Wie ein Paket verschnürt und geknebelt
lag dort ein Mann. In der Dunkelheit konnte ich nur den
dunklen Haarschopf erkennen, durch den sich ein
Streifen noch dunkleren Blutes zog. Der Mann war so
verschnürt, daß ich es nicht wagte, die Stricke an Ort
und Stelle zu durchschneiden. Ich nahm ihn also auf die
Arme und lief mit einem lauten "Alles in Ordnung" zu
unserem Feuer. Mit einem schnellen Schnitt befreite ich
den Mann von dem Knebel. Er spuckte ein paar Stoffetzen
aus und keuchte: "Wein bitte, einen Schluck Wein! Diese
Schweine haben mich mit einem Fußlappen geknebelt!"
Ich wies den Dieb mit seinen geschickten Fingern an,
die Stricke aufzuschneiden, und ging zu den Pferden. In
meiner Satteltasche hatte ich für Notfälle etwas weit
besseres als Wein. Als der Mann einen tiefen Schluck
aus der Messingflasche genommen hatte, würgte und
hustete er, und Tränen traten ihm in die Augen. Er
holte tief Luft und spuckte das, was er noch im Mund
hatte, in das Feuer. Das gab einen schönen Effekt. Es
geht halt nichts über einen selbstgebrannten und gut
gefilterten Zack, selbst wenn er noch verdünnt leicht
entflammbar ist.
Insgesamt hatte das gelbe ölige Zeug dem Mann aber
gutgetan. Er stand auf und stellte sich vor.
"Kauz", sagte er, "ich heiße Donisl Kauz. Ich bin den
Herren für die unverhoffte Rettung aufrichtig dankbar.
Ich werde mich bei nächster Gelegenheit sehr
erkenntlich zeigen".
Ich stellte mich als Gregor der Wirt vor, den Dieb als
Loger Schwarz, reisender Soldat, den Mönch mit seinem
richtigen Namen, und fragte nach der Verwundung des
Mannes.
"Nur ein Kratzer und eine Beule", erwiderte er,
"schlimmer ist, daß diese Kerle mich völlig ausgeraubt
haben. Ich bin jetzt so mittellos wie am Tage meiner
Geburt, von den dürftigen Kleidern abgesehen, die ich
auf dem Leib trage".
Ich sah mir im Feuerschein diese dürftigen Kleider
etwas genauer an. Herr Kauz trug eine dunkelgraue, fast
schwarze Robe aus allerfeinster Wolle, in dem eleganten
Schnitt, den Stadtmagier bevorzugen. Darunter sah man
modische Stiefel aus bestem Leder. Allerdings fehlten
an seinen Fingern die magischen Ringe, die diese
Herrschaften so gerne tragen, auch glänzte an seinem
Hals kein Amulett an goldenem Kettchen. So mochte es
wohl sein, daß die Orks ihn gründlich gefleddert
hatten. Die Gesichtsfarbe des Mannes war dunkler als
meine und die der anderen. Auch die schwarzen Locken
zeigten, daß Kauz von einer der südlichen Inseln
stammte. Er war älter als der Dieb und der Mönch, aber
nicht wesentlich, vielleicht Mitte zwanzig.
Aus seiner Tasche zog er ein weißes Taschentuch und
säuberte sich das Gesicht. Dann verschwand das
Taschentuch wieder unter der Robe, und Kauz zog einen
Kamm, zierlich aus weißem Bein geschnitzt, hervor. Er
begann, seine dunklen Locken zu kämmen, wobei er
jedesmal zusammenzuckte, wenn er die Beule berührte.
Eigenartig, daß die Orks diesen Kamm übersehen hatten.
Üblicherweise nimmt diese Rasse, wenn sie denn schon
auf Raubzug geht, alles, was sich auch nur für ein
Kupferstück verkaufen läßt.
Währenddessen machte sich Fontes offensichtlich Sorgen
um die niedergeschlagenen Orks. Mit der linken Hand
hielt er den Saum seiner Kutte hoch und stakste
zwischen ihren Körpern herum, wie ein Storch im Sumpf.
In seiner rechten Hand schwang die Gebetskette hin und
her und die Eisenkugeln klickten, wenn sie
aneinanderstießen.
Kauz fühlte sich nun wieder präsentabel und damit auch aktionssfähig. "Ich sehe, daß die Großzahl der anwesenden Gäste Euch Kummer macht", sagte er in Richtung des Mönchs und des Diebes, "gestattet mir, die überzähligen zu verabschieden".
Er griff den nächsten Ork an seinem schmutzigen Hemd
und zog ihn hoch. Dann versetzte er ihm zwei schallende
Ohrfeigen. Der Ork blinzelte etwas, tat aber so, als
wäre er weiterhin bewußtlos.
"Hört alle her", brüllte Kauz, völlig sicher, daß jeder
Ork die Menschensprache verstand. "Ihr werdet alle
verschwinden, ganz schnell und ganz weit weg. Zurück
unter den feuchten Stein, unter dem ihr einst an einem
unglücklichen Tag hervorgekrochen seid".
Dann begann er, mit wirbelnden Worten einen Spruch zu
intonieren.
Da ich gelegentlich einmal ein
allgemeinwissenschaftliches Werk über Magie gelesen
hatte, meinte ich herauszuhören, daß es sich um einen
einfachen Furchtzauber der ersten oder zweiten Stufe
handelte. Einfach zu sprechen, sicher in der Wirkung,
aber nur für wenige Stunden anhaltend. Dem Magier fiel
aber eine überraschende kleine Verstärkung ein. Während
er noch sprach, hatte er mit der linken Hand den
Ärmeldolch des Diebes aufgehoben, an dem noch reichlich
Orkblut klebte.
Sofort nach dem Ende des Furchtspruchs sprach er
blitzschnell einen Reinigungsspruch über den Dolch. Das
Orkblut verdampfte zischend. Keine Rasse riecht gern
den Geruch des eigenen Bluts, dahinter steckt eine
begreifliche Urangst, schon garnicht den Geruch von
verbranntem Blut.
Die Orks waren auf den Beinen, noch während sich die
Rauchwolke entwickelte. Sie rannten kreischend in den
Wald, auf den Paßweg und dann über das Geröll den Berg
hinauf.
"Ich glaube, sie werden noch drei Tage rennen", sagte
der Magier und sah sich beifallheischend um.
"Wahrlich, ein feines Stück Magie", antwortete der
Dieb. "Ihr habt uns stark beeindruckt, Herr Kauz". Er
nahm seinen Ärmeldolch vom Magier entgegen und prüfte
ihn mit zusammengekniffenen Augen. "Die Orks rennen,
und der Dolch ist so sauber, als wäre er nie benutzt
worden". Der Dolch verschwand mit einer fließenden
Bewegung.
Ich hob den Proviantsack von meinem Pferd und wies Fontes an, endlich abzusatteln. Was meine gute Frau überreichlich für drei Personen eingepackt hatte, würde auch für vier Personen noch reichlich sein. Der Dieb hockte sich auf einen Stein und holte einen Lappen aus der Gürteltasche, der leicht nach Nelkenöl roch. Dann begann er, seinen Anderthalbhänder zu säubern. Immer wieder fuhr er mit dem Lappen die Klinge entlang. "Herr Kauz", sagte er plötzlich, "mir ist etwas aufgefallen. Obwohl Ihr beraubt worden seid, habt Ihr weder die Orks durchsucht, bevor Ihr sie verscheuchtet, noch habt Ihr uns gefragt, ob wir einen Teil Eures Eigentums bei den Kerlen sichergestellt haben".
Der Magier wurde nicht einmal verlegen. "Nehmt an",
antwortete er dreist, "ich hätte mich vorhin unter dem
Eindruck der Beule auf meinem Kopf geirrt, und meine
Taschen hätten die besondere Eigenschaft, daß außer mir
niemand hineingreifen kann".
"Dann wäre es an der Zeit", sagte der Dieb, " daß wir
noch einmal über Eure vorhin angedeutete Dankbarkeit
sprechen, für die unverhoffte Rettung nämlich, wie Ihr
es vorhin zu nennen beliebtet".
"Nun gut", sagte der Magier, "ich trage zehn Goldstücke
bei mir, das ist meine ganze Barschaft".
"Unverhoffte Lebensrettungen kosten in diesem
Landstrich aber mindestens dreihundert", sagte der
Dieb.
Bei der Nennung dieser Summe zuckte die Hand des Mönchs
vor Schreck an die Gebetskette, und mir rutschte ein
Holzteller aus der Hand. Der Magier kniff die Augen zu
Schlitzen zusammen. In meinem Kopf spürte ich ein
leichtes Kribbeln. In meinem Gasthaus hatte ich einmal
betrunkenes Geschwätz gehört, daß man sich so fühlen
soll, wenn ein ausgebildeter Geist nach der Gesinnung
des anderen forscht. Meine beiden Begleiter schienen
nichts zu spüren, und mir war es gleichgültig. Der
Mann, der so nach meiner Gesinnung forschte, würde
Pergament und Feder brauchen, drei Seiten Notizen und
eine Zeichnung, und könnte auch dann nur zu einem
ungefähren Ergebnis kommen.
"In was für eine Gesellschaft bin ich geraten!" rief
der Magier. "Ein Mönch, ein Dieb und ein pensionierter
Jahrmarktsringer. Ich hätte lieber bei den Orks bleiben
sollen!"
Als Loger diese unverschämte Beleidigung meiner
hochachtbaren Person hörte, steckte er den Öllappen
weg. Seine Waden spannten sich zum Sprung. Die Finger
des Magiers streckten sich, als wollten sie von neuem
ihren Tanz beginnen. Ich griff ein.
"Wir sind hier nicht in einem Kindergarten, meine Herren", sagte ich mit fester Stimme. "Wenn Ihr Euch prügeln wollt, tut es nicht in der guten Stube, sondern nach dem Essen draußen. Ich befehle Frieden!"
Der Dieb, noch immer in dem Glauben, er stünde jemand
Hochgestelltem gegenüber, sackte in sich zusammen. Der
Magier mißdeutete vielleicht die Stellung meiner
Finger. Ich muß sie gelegentlich lockern, wenn das
Rheuma anfängt, mich zu plagen.
Auch er entspannte sich. Fontes griff nach einem Kanten
Brot und versuchte, die Situation zu retten. Er
forderte alle auf, endlich zuzugreifen, und bemühte
sich, eine Unterhaltung in Gang zu bringen. Er
plapperte, daß er Magier wegen ihrer strengen
Ausbildung, die in manchem dem Schriftenstudium der
Mönche ähnele, sehr bewundere, und daß es wohl
schrecklich schwer sein, die Magie zu beherrschen. Er
selbst kenne nur einen Spruch für das Heilen leichter
Wunden, der zudem seine Kraft aus anderen Quellen
beziehe. Der Soldat Loger aber wisse, wie er es heute
abend gezeigt habe, sogar einen echten Feuerspruch, der
gut funktioniert habe, und so weiter und so fort.
Ich unterstützte Fontes in seinem Bemühen und fragte
den Magier nach seiner Schule und seinen Lehrern.
Dieser überging die zweite Frage geschickt und
beantwortete die erste langatmig dahin, er habe seine
Ausbildung in dem Zirkel von Kalithera auf der Insel
Tass erhalten, einer wundervollen Schule.
Die anfangs stockende Unterhaltung wurde heiterer, als
ich drei Hühnchen und eine Flasche Wein aus dem Sack
holte. Nur Fontes blieb tapfer bei Brot, Käse und
Wasser, schien uns anderen aber nichts zu neiden. Am
Schluß unseres Abendmahls hatte ich eine rundherum
satte und friedliche Gesellschaft vor mir.
"Bitte regt Euch nicht auf, Herr Kauz", sagte ich, "wenn ich jetzt doch wieder auf den Preis für die Rettung Eures Lebens zu sprechen komme. Die Sache wäre tatsächlich rund dreihundert Kronen wert, wenn man sie in Auftrag geben und dann hätte bezahlen müssen. Ich jedoch will keine Bezahlung, der Mönch darf nur für seinen Orden Geld annehmen, und Ihr tragt sicherlich keine dreihundert Goldstücke in Euren Taschen. Doch dieser meisterlich gesprochene Furchtzauber von vorhin wäre für den Soldaten Loger bestimmt ein entsprechender Wert und nützlich für sein Kriegerhandwerk. Diktiert ihm den Spruch auf ein Pergament und übt ihn mit ihm ein. Ihr würdet mir damit einen Gefallen erweisen. Dir, Loger, befehle ich, die ganze Nacht für uns zu wachen, denn Du hast mich mit Deiner Streitlust eben verärgert".
Der Dieb und der Magier blickten sich scheel an, waren es aber dann zufrieden. Fontes packte den Proviantsack und räumte auf. Ich rollte mich in meine Decken. Wir würden eine sehr ruhige Nacht haben. Selbst ein Drache würde einen weiten Bogen um unsere Höhle machen, wenn ein verkorkster Furchtspruch nach dem anderen von Logers Lippen in den Wald flatterte.
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