EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL

MODEN UND SPEISEFOLGEN
Man kann es nicht jedem recht machen, aber manchem ist es recht.

Kanzler Kommer bat uns, in einem Nebenraum zu warten, und führte Raffaela zu ihrer Mutter. Ich ging nach draußen und drückte dem Feldwebel der Gardisten eine gewisse Summe in die Hand, die er zufrieden nachzählte.

Hauptmann Alexander unterrichtete den Wachhabenden, der Kanzler wünsche von niemandem mehr gestört zu werden, und zog sich mit seinen Leuten zurück. Diese berieten bereits darüber, wo das Fest steigen solle.

Nach einer Viertelstunde kam der Kanzler wieder. Zuerst schüttelte er jedem die Hand und dankte von Herzen. Aber er war nicht nur Vater, sondern auch und gerade jetzt in der Verantwortung für das Wohl des Reichs. Er bat um einen genauen Bericht.

Es war Loger, der erzählte. Er erinnerte sich an jedes Ereignis, jedes Datum und jedes Gesicht. An geeigneter Stelle griff ich ein und wiederholte wörtlich die Grußbotschaft des Fürsten Tidgi. Kanzler Kommer nickte zufrieden.

Loger berichtete weiter. Der Kanzler machte sich gelegentlich Notizen und notierte Namen. Der gerechte Hauptmann Petrass würde also im Reich nicht in Vergessenheit geraten.

Gegen Ende der Geschichte zog Kommer die Augenbrauen hoch und notierte sich das Stichwort "Mantilla". Den Rest hatte er dann selbst miterlebt.

Kanzler Kommer verkündete, er bäte uns zu einem Abendessen. Raffaela und seine Frau würden gleich erscheinen. Diese, eine kleine südländische Schönheit, fiel erst einmal jedem um den Hals. Der Kanzler war geschickt genug, jeden mit einem Titel vorzustellen, und aus Loger Schwartz wurde schnell ein de Noir. Bei mir betonte er den Titel Oberst und murmelte einen unverständlichen Namen. Dementsprechend war Frau Kommer etwas zurückhaltend, bis mich Loger einmal mit Onkel und danach mit Euer Gnaden anredete, so daß Frau Kommer nun genealogische Rätsel lösen konnte.

Nach Raffaelas erstem Bericht hatte ihre Mutter den Eindruck gewonnen, ihre Tochter habe in bester Gesellschaft aufregende Ferien verlebt, und etwas anderes wollte sie sich wohl auch nicht vorstellen.

Der edle Dionisius von Kalithera unterstützte dieses Bild nach Kräften und erzählte einige Schnurren von den Gewohnheiten des lieben Fürsten Tidgi. Er nahm gelassen den Tadel hin, er hätte Raffaela unverzüglich in die Burg bringen müssen, und ebenso gelassen das Lob, er habe vielleicht recht getan, Raffaela erst bei der besten Schneiderin der Hauptstadt herrichten zu lassen.

Der arme Kommer habe sich solche Sorgen gemacht, und hätte es nicht ertragen, seine Tochter zerzaust und in Reisekleidern wiederzusehen. Der arme Kommer verschluckte sich an seinem Wein und Raffaela lenkte das Gespräch auf den interessantgen Punkt, die Enkelin des Fürsten reite im Herrensitz und trage Hosenröcke. Sie wolle sich in den nächsten Tagen mindestens drei Stück in verschiedenen Stoffen bei Madame soundso bestellen.

Frau Kommer stand trotz Donisls Zuraten der Hosenrockmode einstweilen ablehnend gegenüber, pflichtete aber bei, Raffaela brauche eine vollständig neue Garderobe, so mager wie das arme Kind geworden sei.

Raffaela war begeistert, aber Donisl hatten diese Worte irgendwie getroffen.

Der Kanzler warf beschwichtigend ein, das Gewicht seiner Tochter werden keinen Einfluß auf gewisse noch zu treffende Vereinbarungen haben. Doch dann war Frau Kommer plötzlich am Ende ihrer Kräfte. Die Tafel wurde aufgehoben und der Kanzler führte Frau und Tochter hinaus.

Wir schliefen im Quartier der verheirateten Offiziere. Mit uns zugleich erschien Hauptmann Alexander und berichtete, das Fest seiner Leute sei in vollem Gang. Hier werde zu einer freundlichen Zeit geweckt, nämlich bei Sonnenaufgang.

Als wir mit dem Frühstück fertig waren, erschien der Kanzler persönlich im Quartier. Er gab jedem von uns einen kleinen leichten Beutel und versicherte Fontes, sein Orden erhalte eine entsprechende Anweisung. Er bot in Notfällen seine unterstützung an und war sogar bereit, falls Loger sich einmal von der Gilde lösen wollte, die Verhandlungen für ihn zu führen.

Doch ein schneller Abschied sei der beste. Raffaela werde wahrscheinlich bis Mittag schlafen, und die schmerzloseste Lösung wäre, wenn er ihr unsere Grüße ausrichten würde.

Der Kanzler ging und wieder war die Stunde des Abschieds gekommen.

Donisl hatte die Edelsteine in seinem Beutel eingehend geprüft und befunden, Raffaela müsse erheblich zugenommen haben. Mit dieser Summe werde Trent d'Arby gleich mit einer ansehnlichen Viehherde nach Süden reiten können und mit einigen im voraus entlohnten Gefolgsleuten.

Fontes war sehr unglücklich. Er mußte noch heute morgen zum Hauptkloster und seinem Abt berichten. Er befürchtete Schlimmes. Bei unserer Freundschaft beschwor er uns, ihn zu begleiten und für ihn zu sprechen. Diese Bitte war nicht abzuschlagen.

Wir machten einen kleinen Umweg, um unsere Tiere abzuholen. Ich schickte einen Diener mit Raffaelas Stute und ihrem Bogen zur Burg, und dann ritten wir noch ein letztes Mal gemeinsam.

Schon in Sichtweite des Klosters stieg Fontes von seinem Maultier und meinte, der Abt mißbillige am meisten die Sünde der Hoffahrt. So gingen wir also zu Fuß den Berg hinauf.

Der Abt empfing uns sehr freundlich. Er lobte Fontes wegen einer großzügigen Spende, die heute morgen dem Orden überbracht worden war, und bat dann um seinen Bericht. Er war zufrieden, daß die Kapelle befehlsgemäß gereinigt worden war, und zeigte Verständnis dafür, daß Fontes wegen der politischen Wirren nicht volle drei Tage dort im Gebet habe verbringen können. Dann fragte er abschließend, ob Fontes auch die Fastenregeln eingehalten habe.

"Ja", sagte Fontes, "vorgestern fast den ganzen Tag".

Der Abt wollte das genau wissen. Was habe Fontes zum Beispiel gestern zu sich genommen? "Zum Frühstück grünen Tee, Brot und Dörrfleisch, zu Mittag Butterbrote, und am Abend gab es eine Rindersuppe, Flußkrebse, Fisch, ein paar Enten, gefüllte Wachteln, Reh, Wildschwein und eine Weincreme mit Kirschen".

"Hast du auch nichts vergessen, Fontes?" fragte der Abt.

"Doch", sagte Fontes überrascht, "einen kleinen Imbiß am Nachmittag, Weißbrot, Käse und einen leichten Wein, bei Tante Marion in der Kasernenstraße".

"Auf die Knie, Wurm!" brüllte der Abt. "Du wirst drei Monate in einer Zelle verbringen und dich wieder an Mäßigkeit gewöhnen. Dann wirst du zu Fuß nach Süden ziehen, über die Berge, durch eine wirklich trockene Wüste bis zu einer Stadt, die einst durch ihre Hoffahrt zerstört wurde. Dort findest du das Denkmal eines Sünders, genauso wie du einer bist. Du wirst die bronzene Statue des unglücklichen Sargon mit deiner eigenen Kutte so lange putzen, bis sie wieder glänzt wie Gold".


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