Ich stieg ab. Bevor ich mir den Dieb greifen und ihmden Hals umdrehen konnte, hing Raffaela an meinem Hals und Trent d'Arby versuchte, mir mit kräftigen Schlägen das Schlüsselbein zu zertrümmern.
Donisl hüpfte auf und ab und Jamba rieb sich die Hände. Als sich die Aufregung gelegt hatte, gelang es mir, mich von Raffaela zu befreien. Sie sah immer noch so aus, als käme sie gerade von einem Ausritt in der frischen Luft zurück.
"Raffaela", sagte ich, "das wichtigste müssen wir zuallererst klären. Eine Dame hat blaß auszusehen. Die jungen Männer lieben eine milchweiße Haut."
"Nein", sagte Raffaela und warf die Locken zurück. "Auf dem Fest der Nymphen hat Graf Sternfeld gesagt, ich sein ein interessanter Typ, und der Prinz hat ihm zugestimmt. Ich nehme auch keinen Sonnenschirm mehr, wenn ich in der Kutsche fahre. Und Ursula hat es auch versucht und hat einen Sonnenbrand auf der Nase gekriegt, und Graf Sternfeld hat gesagt, sie sieht aus wie eine sommersprossige Pellkartoffel."
"Dann das zweitwichtigste." Ich band die Last des Wallachs los und warf Loger einen Langbogen und ein Bündel Pfeile zu.
"Dietriche habe ich nicht gekriegt." Ich wandte mich an den Barbaren. "Bitte Trent, zieh Dein Räudefell aus." "Wie bitte?" fragte Trent d'Arby, aber Loger hatte schon mit einem schnellen Schnitt das Wolfsfell hinten aufgetrennt.
Der Barbar stand im Hemd. Ich packte das Kettenhemd aus und warf es ihm über. Es paßte genau. Dann band ich eine nach der anderen die dunkelbraun lackierten Platten fest.
"Wie der junge Feuerwind persönlich!" sagte Jamba. "Dein Kredit ist gerade um dreihundert Prozent gestiegen." Trent d'Arby ging auf und ab und bewegte probeweise den rechten Arm.
"Der Oberarm ist zu wenig geschützt", klagte er. "Wenn Du Dich am Oberarm treffen läßt, ist das Deine eigene Schuld, Schafskopf", sagte Donisl. "Die meisten Treffer gehen auf den Unterarm, und dort hast Du eine starke Platte." Ich reichte Trent d'Arby den zweiten Langbogen und das zweite Bündel Pfeile. "Was soll das jetzt alles kosten, Onkel", fragte er. "Du weißt, daß ich mein Geld jetzt einteilen muß." "Nun", sagte ich, "irgendwie ist es ein Geschenk des Herzogs d'Assel. Es kostet nichts."
Das war nun etwas ganz anderes. Trent d'Arby gefiel sich in der neuen Rüstung plötzlich ausnehmend gut. Er lieh sich bei Donisl einen kleine Handspiegel und besah sich eingehend. DAnn marschierte er auf und ab und machte ein heldenhaftes Gesicht. "Wie der junge Feuerwind persönlich", wiederholte Jamba. "Ich habe noch etwas", sagte ich. "Aber diesmal kostet es etwas." Ich rollte das Schwert aus dem Bündel. "Dafür will ich Deinen Zweihänder haben." Trent d'Arby lachte. "Dieses Schwert ist mindestens eine Handspanne zu kurz für mich, ein halber Zahnstocher, dafür gebe ich meinen Zweihänder nicht her."
"Du solltest es Dir überlegen, Trent. Das Schwert ist sehr gut."
"Nein, mit meinem Zweihänder würde ich es wie einen morschen Ast beiseite fegen", wehrte er ab. "Dann wollen wir mal eine Probe machen", sagte ich. "Hol Deinen langen Prügel."
Trent d'Arby verschwand in Jambas Haus und kam sofort wieder zurück. Er hatte sein Schwert wohl zur Vorsicht gleich neben die Tür gelehnt.
"Wir machen jetzt jeder einen großen Schlag über den Kopf", sagte ich. "Und wir versuchen gegeneinander zu drücken. Wer den anderen herunterdrückt, hat gewonnen."
Ich stellte mich so, daß sich hinter mri niemand befand. Zum letzten mal machte der Zweihänder ein rasselndes Geräusch, als er aus der Scheide gezogen wurde. Ich lehnte das Schwert gegen meine rechte Hüfte und Trent d'Arby machte es genauso. Wir traten einen Schritt vor. Trent d'Arby paßte sich meiner Bewegung an und schwang sein Schwert im selben Augenblick hoch wie ich. Meine Klinge machte einen kleinen Bogen nach rechts und fuhr dann nach links herunter. Ich hielt den Schlag in Kniehöhe an. Trent d'Arby hielt den Griff und die verbliebene Hälfte seines Zweihänders in der Hand. Die abgeschlagene andere Hälfte steckte in Jambas Hofmauer. Ich schob den Anderthalbhänder in die Scheide zurück und das Schwert Trent d'Arby zu.
"Diesmal ist es ein Geschenk von mir." Er fing das Schwert mit der linken Hand auf und glotzte dann auf den halben Zweihänder in seiner Rechten. Er machte einen schnellen Handwechsel und schlug mit einem schnellen Schwung die Scheide des Anderthalbhänders weg. "Halt!" rief Donisl. "Sei sparsam. Du hälst immerhin ein gutes Kurzschwert in der Hand. Ich glaube, wir haben hier eines jener seltenen Erzeugnisse großer geistiger Anstrengungen vor uns. Wir sollten es genau wissen." Er lief in das Haus und kam mit einer Blumenvase aus Steingut wieder. "Darf ich, Jamba?" fragte er und stellte die Blumenvase auf den Rand der Pferdetränke. Trent d'Arby konzentrierte sich kurz und schlug zu. "Daneben!" rief Raffaela. "Nein", sagte Donisl. Der obere Teil der Vase rutschte herunter und zerschellte auf dem Boden. "Das willst Du mir schenken?" fragte Trent d'Arby. "Schon geschehen", sagte ich.
Wir gingen in Jambas Haus. Jamba hatte einen kleinen Imbiß hergerichtet. Mit einem Glaß Wein spülte ich mir den Staub der Reise aus der Kehle. Alles redete durcheinander, nur Trent d'Arby saß still in einer Ecke und sah sein neues Schwert an.
Ich schob Raffaela fünf Beutel zu. "Das Fell ist verkauft und Euer Vermögen hat sich um jeweils eintausend Kronen gesteigert. Tragt bitte Fontes Anteil als Posten zur Unterstützung kirchlicher Zwecke ein. Aber um Himmels Willen nicht als Spendengeld." Alle sahen zufrieden drein. Jamba starrte andachtsvoll auf die Beutel und träumte von großen Transportaufträgen.
Donisl wurde ungeduldig. Er bat nun dringend darum, den Tisch abzuräumen. Ein weiteres Wunder geistiger Arbeit wartete darauf vorgezeigt zu werden. Donisl legte eine große zusammengebundene Mappe auf den Tisch. Dann hob er vorsichtig einen kleinen Koffer vom Boden und stellte ihn daneben. Er öffnete die Schleife der Mappe und zog ein engbeschriebenes Blatt heraus.
"Ich habe mit auf die Regierungszeiten von Curcuma umd Sambal beschränkt. Sie liegen lange genug zurück, um manches nicht mehr richtig nachprüfbar zu machen, aber nicht lange genug, als das bestimmte Ereignisse völlig vergessen worden wären. Ich war immer als erster in der Kanzlei und habe den Boden gefegt. Wenn der letzte Schreiber gegangen war, saß ich noch an meinem Pult und machte Eintragungen. Ich habe den Tisch des Kanzleivorstehers mit Bienenwachs eingerieben und jeden Morgen, bevor er kam, poliert.
Ich habe dafür gesorgt, daß uns die Pinakothek als Leihgabe drei Gemälde mit Götterdarstellungen zur Verschönerung der Räume überlassen hat. Die Landschenkungen von Curcuma und Sambal sind in band sechs eingetragen. Und nun kommt es. Der Registrator hat einen Fehler gemacht. Er ist von der Ordnungsnummer einhundertsechsundzwanzig auf die einhundertachtundzwanzig gesprungen. Und am Ende der einhundertsechsundzwanzig ist eine halbe Seite Platz. Curcuma hat mehr Landschenkungen gemacht als ein König vor ud nach ihm. Am liebsten verschenkte er Land, das ihm nicht gehörte.
Hier habe ich eine seiner typischen Formulierungen: Zum Nutzen des Reiches und als Belohnung für treue Dienste alles Land westlich von ... Das ist unbestimmt genug. Ich habe mir verschiedene Urkunden abgeschrieben, der Wortlaut ist immer sehr ähnlich. Das Adelsregister ist in dieser Zeit sehr genau geführt, aber die Verweisungen auf eine Landschenkung sind manchmal nur dazwischengekritzelt. Und d'Arbys gibt es wie Sand am Meer. He, Trent, was für ein Adel bist Du eigentlich?"
"Geburtsadel", sagte Trent d'Arby ohne aufzuschauen. "Das habe ich schon vermutet, als ich zum ersten mal Dein kluges Gesicht sah", grinste Donisl. "Ich meine, wie ist Dein Titel?" "Nur d'Arby", antwortete der Barbar. "Mein Vorfahr ist an der Seite Charles geritten."
"Wer an der Seite von Charles geritten ist, lernt jedes Kind in der Schule. Ein d'Arby war nicht darunter. Tut mir leid, Trent. Ich werde aus Dir einen Freiherrn machen. Das paßt recht gut." Donisl hob aus der Mappe vorsichtig zwei Bögen Pergament. "Sie sind mein Stolz. Aus Curcumas Zeit. Dann habe ich noch verschiedene letzte Seiten aus den Registern herausgetrennt, die sich unbedenklich wieder einfügen lassen." Aus dem Köfferchen hob er mehrere Schachteln. "Einige originale Siegel, die abgefallen sind. Vergessene Tintenfässer und Reste von Siegelwachs und hier noch ein Stück Siegelband. Reicht das Loger?" Loger befühlte vorsichtig eine Seite des Pergaments und sah ein Siegel an. "Meine Hochachtung Donisl. Damit mache ich Dich zum Grafen." "Nein", sagte Donisl. "Ich werde allenfalls Baron und Du wirst Ritter. Übertreibung schadet nur."
"Was soll das alles?" fragte Raffaela. Loger antwortete:"Wir wollen nach Süden ziehen und Land nehmen. Das bedeutet harte Arbeit über Jahre. Wenn wir etwas aufgebaut haben, kommt bestimmt irgendein Herzog und behauptet, unser Land gehöre ihm. Dann schreibt Freiherr Trent d'Arby eine Botschaft an den König und bittet um Hilfe. Man wird in den Urkunden nachsehen und die Landschenkung finden. Das wird dem König sehr gefallen, weil er die minderen Herzöge nicht mag. Er wird etwas mit dem Säbel rasseln, und alles ist wieder ruhig."
Donisl packte seine Schätze vorsichtig wieder ein, und während Trent d'Arby noch immer in der Bewunderung seines Schwertes versunken war, gingen wir anderen nach draußen. Die Reservepferde gefielen mir gut. Jamba hatte für Vorräte, zwei Zelte und die sonstige Ausrüstung gesorgt. Er hatte für jeden zwei kleine Ledersäcke und einen Spaten vorgesehen. Wegen des Schatzes natürlich. Wir sollten hauptsächlich an den Schatz denken. Ach, er wäre so gerne mitgeritten.
"Ein Entlassungstag ist immer etwas besonderes", sagte Loger, "auch wenn man nur drei Monate abgerissen hat." Wir hielten am Stadtrand und sahen den Hügel hinauf. Die Klosterglocke schlug dünn die sechste Stunde. Den Hügel herab schritt eine kleine gebeugte Gestalt, einen Rucksack auf dem Rücken.
Wir drängten unsere Pferde in die erste Seitengasse. Fontes sah sich immer wieder um. Dann zog er die Kapuze über den Kopf und ging mit traurigen Schritten weiter. Als er an der Gasse vorbeikam, pfiff Loger durch die Finger. Fontes blieb ruckartig stehen und drehte sich um.
"Die ganze Bande ist da, Bruder Fontes!" rief Loger. "Die ganze alte Bande!"
Fontes warf den Rucksack auf den Boden und versuchte, am Pferd des Barbaren hochzuklettern. Trent d'Arby zog ihn mit einem kräftigen Ruck nach oben. "Du hast zugelegt, alter Gauner." Fontes strahlte über das ganze Gesicht. "Auch Raffi ist da, welche Überraschung. Und ich dachte schon, es kommt niemand mehr."
Wir sammelten Fontes Rucksack auf und verdrückten uns durch die Seitengasse und über Nebenwege bis in Jambas Kontor. Fontes erzählte unaufhörlich. Er hatte in der vergangenen Zeit wohl wenig Gelegenheit zum Reden gehabt.
Er habe eine ausgezeichnete Karte, berichtete er zwischendurch, die zwar das ganze Ormon-Gebirge und das Strymon-Tal mit größter Genauigkeit zeige, aber für die Strecke danach habe er nur Richtungen und Entfernungsangaben notiert.
Nun, ich hatte bisher nicht einmal gewußt, daß es ein Strymon-Tal gab. Fontes war von den beiden Maultieren, die Raffaela und Jamba besorgt hatten, sehr angetan. Er stellte sich höflich vor und sprach in einer kurzen Rede von hoffentlich guter Zusammenarbeit. Dann machte er sich über die Reste von Jambas Imbiß her und verputzte alles.
Raffaela hatte ihn in den letzten zehn Tagen nicht mehr besucht, um keinen Verdacht zu erregen. Kaum hatte er fertig gegessen, bestand er darauf, sofort aufzubrechen. Er habe schwere Sünde auf sich geladen und müsse nun unverzüglich mit der Buße beginnen. Auch habe der Abt seine Augen und Ohren überall. Er drückte Raffaela ein Bündel Papier in die Hand und bat sie, falls sie einen Verleger für seine Oden finden sollte, diese unter einem falschen Namen zu veröffentlichen, vielleicht unter dem Pseudonym Fontana. Dann saß er schon auf seinem Maulesel und fragte, warum wir denn so lange trödelten.
Raffaela rief uns nach, wir sollten uns gut amüsieren, aber trotzdem sparsam sein.
Nach drei Tagen hatten wir die Grenze des Reichs erreicht und ritten wieder über die Steppe. Jeden Abend hatte Fontes seine wunderbare Karte vor uns ausgebreitet und wir hatten sie gemeinsam studiert. Das Ormon-Gebirge, das wir heute zu ersten Mal als blaue Linie über dem Horizont gesehen hatten, war in jeder Einzelheit eingezeichnet.
Zu aller Überraschung waren mehr Burgen und Dörfer eingetragen, als im Reich allgemein bekannt. Das Strymon-Tal dahinter war allerdings ohne solche Eintragungen. Lediglich am Mittellauf des Flusses war ein kleines Dorf mit der Bemerkung angegeben, dort wohnten gelegentlich einige Fischerfamilien.
Die Karte sei sehr verläßlich, sagte Fontes. Die Kundschafter des Grauen Ordens kämen überall herum und müßten zu Hause in allen Einzelheiten berichten. Wir prägten uns die Richtungen und Entfernungen zu Sargons Stadt immer wieder ein, bis jeder von uns jeden Satz auswendig wußte. Trent d'Arbys Gedächtnis für Zahlen war untrüglich.
Gegen Abend sahen wir in der Ferne den Hebebalken eines offenen Brunnen, eine kleine Pferdeherde darum herum und ein Feuer. Mit lautem Ruf ritten wir auf den Brunnen zu. Am Feuer saß einsam ein alter Ork mit schmutzig-grauem Fell, der lustlos an einem Spieß drehte, auf dem ein ganzes Pferdeviertel befestigt war. Er grinste uns freundlich an und zeigte ein lückenhaftes Gebiß. Das Alter hatte ihm nur einen seiner Fangzähne gelassen.
"Verfluchter Tag", sagte er auf ogrisch. "Heute morgen war die Stutenmilch sauer und ich ahnte schlimmes. Und heute abend kommen fünf Haarlose auf einmal und werden mein ganzes Fleich wegfressen."
Fontes sprang vom Maultier. "Opa Einzahn", sagte er liebenswürdig. "Wir alle hier sprechen die Sprache des Großen Volkes und du bist nicht gastfreundlich, wie es sich in der Steppe gehört. Wir werden nur ganz wenig essen."
"Nenn mich nicht Einzahn", brüllte der Ork. "Wenn du jungerHund erstmal in mein Alter kommst, kannst Du nur noch Grießbrei schlucken." Donisl sprang vom Pferd. "Wir reden die ganze nur über Zähne, zeig doch mal her." Unverfroren griff er dem Ork an das Kinn und zog es herunter. "Schlimm, schlimm", sagte er. "Das kostet mindestens dreihundert Kronen in Gold."
"Hab ich nicht", sagte der Ork, "rutsch mir den Buckel runter, nimm deine schmutzige Menschenhand weg."
"Die braune Stute da", sagte Donisl, "die wäre mir recht." "Die kostet eintausend", erwiderte der Opa Einzahn. "Da krieg ich noch siebenhundert heraus." "Die Stute", sagte Donisl, "kostet in der Hauptstadt vielleicht dreihundert, und dem Händler verkaufst du sie allenfalls für achtzig in der ganzen Herde. Das wäre doch ein Geschäft."
"Wir sind noch nicht Gastfreunde", sagte der Ork. "Erst mußt du mit mir trinken." Er ging zu seiner Deckenrolle und holte einen Ledersack hervor. Er zog den Stöpsel heraus und sagte: "Die Hand soll verdorren, die an diesem Feuer eine Klinge zieht." Er nahm einen tiefen Schluck, hustete und reichte den Sack an Donisl weiter. Donisl murmelte den Reinigungsspruch und trank.
"Der Spruch hält für alle vor", sagte er. "Trinkt."
Das Zeug lief wie heißes Blei die Kehle herunter. Fontes vergoß das meiste, aber mit Tränen in den Augen schaffte er auch eine kleine Anstandsmenge herunter.
"Wir sind uns also einig", stellte Donisl fest. "Du bekommst neue Zähne und ich kriege die Stute." "Bist Du wirklich ein Heiler?" fragte der Ork mißtrauisch.
"Meinst du ein Heiler bekommt so etwas fertig, ich bin ein Hexer!"
"Dachte ich's mir doch", sagte der Ork. "Dann gilt der Handel."
Donisl stöberte durch das Lager und griff einen kleinen Topf. "Was hast du darin zuletzt gekocht?" "Hufwichse", antwortete Opa Einzahn. "Wunderbar", sagte Donisl, "genau der richtige Grundstock. Wo hast Du die Kinnbacken unseres Bratens?" Der Ork wühlte unter seinen Sachen und zog zwei Pferdekinnbacken hervor. "Die wollte ich meinem Urenkelchen mitbringen, so ein süßer Bub." "Einer reicht", sagte Donisl. "Gib her." Er brach mit einem Stein die Zähne aus dem Kiefer und suchte einen größeren Stein als Unterlage.
"Opa, welcher deiner Zähne wackelt am meisten?" "Hier", sagte der Ork und zeigte in sein Maul. "Den brauch ich auch", sagte Donisl. Der Ork griff ungerührt in sein Maul. Es gab einen kurzen Ruck und er hielt Donisl einen gelben Backenzahn hin. "Es kommt darauf an", dozierte Donisl, "daß der Fluch die richtige Richtung bekommt. Wenn ich jemandem die Hand verdorren lassen soll, muß mir der Kunde einen Fingernagel von der Hand des Opfers bringen. Und für einen Liebestrank brauche ich nicht das Glas, aus dem das Mädchen getrunken hat, sondern mindestens ein Stück ihres Kopfkissens."
Der Ork nickte verständnisvoll. Donisl zerstampfte die Pferdezähne und den Orkzahn, rührte das Pulver durcheinander und gab es in den Topf. Aus seiner Satteltasche holte er ein Tuchbündel hervor und rollte es auf. Zahllose kleine Täschchen waren in die Rolle eingenäht.
"Tu etwas von deinem Gewürzwein in den Topf, Opa", sagte er. Der Ork entstöpselte den Schlauch erneut und goß das Gebräu in den Topf. Es begann zu schäumen. Donisl mischte weiter.
"Fechel", sagte er, "viel Fenchel, dann Veilchenwurzel, ein paar Nelken und etwas Gelbkraut. Die Zutaten sind eigentlich einfach. Es hört sich an wie ein Kochrezept." "Unser Schamane tut in jeden Trank verbrannten Pferdedung", sagte der Ork. Donisl werte ab. "Das ist die konservative Methode. Es kommt nicht darauf an, daß die Medizin dem Patienten schmeckt, wichtig ist nur, daß sie hilft. Ich habe da geheimnisvolle neue Wege. Ach hätte ich doch ein paar Schlangenzähne, wenigstens einen Schlangenzahn. Hat jemand von euch zufällig den Giftzahn einer Schlange? Nein ? Dann muß ich mich behelfen. Hier habe ich etwas. Das Zeug ist schon zu alt, um bei einem Menschen riskiert zu werden, aber ein Ork kann es noch vertragen."
Donisl holte aus einem Beutel ein kleines Paket hervor und wickelte es aus. In dem Päckchem war eine kleine Kupferdose. Donisl öffnete den Deckel und hob vorsichtig ein Briefchen aus hauchdünn gehämmertem Silber heraus. Er öffnete das Briefchen. Drinnen war etwas kleines schwarzes, das quecksilberartig über den Rand der Silberfolie zu entkommen versuchte. Mit einem schnellen Schwung gab Donisl den Tropfen in die Brühe, die sofort zu blubbern begann.
"Das war echtes Dämonenblut. Ich habe es spottbillig bekommen. Und jetzt beginnt mein segensreicher Spruch für Zähne. Wie heißt du eigentlich Opa?" "Meinst du, ich sage Dir meinen richtigen Namen?" grunzte der Ork. "Für wie dumm hälst du mich eigentlich?" "Dein Name wäre am besten, aber wenn du mir nicht vertraust, dann laß es bleiben. Aber sag mir einen Namen, der ziemlich dicht an deinen herankommt, mit dem deine Mutter dich einmal gerufen hat." "Die Jungs in der Mannschaft nannten mich Beau", sagte Opa widerwillig.
"Nun gut, dann eben Beau." Donisl sprach abgehackt einige kurze unverständliche Sätze über den Topf und brüllte dann den Namen Beau so laut hinein, daß der Schaum von den Rändern spritzte. "Trink ganz schnell alles herunter!"
Der Ork setzte den Topf an und begann zu schlucken. Als er absetzen wollte, schrie ihn Donisl an, alles auf einmal herunterzutrinken. Dann war der Topf leer.
Der Ork sah Donisl mit runden Augen an. "War das alles?" "Das war alles, was ich dazutun konnte", erwiderte Donisl. "Du kannst dich jetzt auf eine schlaflose Nacht gefaßt machen." "Darf ich denn schon etwas essen?" fragte der Ork sichtbar ohne Hoffnung. "Du kannst sofort etwas essen", sagte Donisl. "Je mehr, je besser. Ist das Fleisch durch?"
Donisl räumte seine Rolle wieder ein und steckte sie in die Satteltasche. Wir versorgten die Pferde.
Ich fragte Donisl leise, was für einen Sinn sein Schamanenzauber gehabt hätte, und Donisl antwortete, er hätte gerne heute abend einen Ork mit Zahnschmerzen getroffen. Den Ork hätten wir nun getroffen und die Zahnschmerzen habe er jetzt auch.
Opa Einzahn drehte derweil den Bratenspieß weiter. Loger war Pferdefleisch nicht gewohnt und wollte nichts essen, aber die anderen kannten diese Kost offenbar schon. Opa Einzahn schlang ungeheure Mengen in sich hinein und versicherte zwischen den Bissen, das Mark in den Knochen sei ihm am liebsten. Früher habe er die Knochen mit den Zähnen geknackt, worauf Donisl erwiderte, Knochen knacken könne er morgen früh wieder. Wir müßten heute nacht keine Wachen aufstellen, denn Opa würde bald die Freuden der dritten Zahnung zu spüren bekommen.
Trotzdem teilte ich Wachen ein. Wie es mein Vorrecht war, stand mir die erste Wache zu. Ich räumte etwas auf und schob die Glut des Feuers zusammen. Opa kroch aus seinen Decken und fing an zu wimmern.
"Kau auf einem Stock", riet ich. "Das hilft bestimmt." Opa griff einen Stock aus seinem Holzvorrat und begann zu kauen. Er ging mit wütenden Schritten auf und ab. "Setz dich zu mir", schlug ich vor, "und wir unterhalten uns etwas. Dann denkst du nicht mehr an die Schmerzen."
Der Ork setzte sich neben mich. Wir sprachen über Gott und die Welt und ich erzählte, Donisl sei ein abgefeimter Hexer, der einmal sogar einem Teufel den Schwanz wieder angehext habe, den ein frommer Priester abgeschlagen hatte. Seine Verträge halte er hundertprozentig ein. Der Ork fühlte in seinem Kiefer nach und meinte, er spüre schon die Spitze eines neuen Zahns ganz oben rechts. Er gestand mir ein, daß er einige Jahre mit einer Menschenfrau zusammengelebt habe. Wovon sonst seien ihm wohl die Zähne so früh schon ausgefallen? Er sprach lange von seiner Familie, von seinen prächtigen Söhnen und fleißigen Töchtern, und kaute zwischendurch verzweifelt auf dem Stock.
Ich fragte ihn nach der Gegend vor uns und er erzählte, das ganze Gebirge sei voller Leben. Manchmal lägen die Höfe oder Burgen nur einen Tagesritt voneinander entfernt. Hauptsächlich sei das Gebirge von Zwergen bewohnt, rauhe aber umgängliche Gesellen. Sie wären zu jedem freundlich, der nicht gerade versuche, in ihre Höhlen einzudringen. Irgendwo gebe es auch einen Elfenstamm, aber diese hochnäsigen Kerle bekäme man kaum zu Gesicht. Orks gäbe es viele, vor allem in den Wäldern auf dieser Seite des Gebirges, aber auch Menschen und jede Art von Mischlingen. Bis auf die Elfen kämen alle gut miteinander aus, natürlich käme hier und da auch mal ein Überfall vor, aber nur selten. Uns Menschen, den Halbelfen eingeschlossen, empfehle er dringend einen Besuch in Ille's Gasthaus kurz vor dem Paß. Da sei immer etwas los. Ich fragte nach und er schwärmte von riesigen Bierfässern und von Musik und Tanz an den Markttagen. Ille's Gasthaus war wohl ein kleiner Handelsplatz mit der Herberge in der Mitte.
Gegen Ende meiner Wache waren wir uns beide sicher, daß nicht nur oben rechts sondern auch genau darunter eine kleine gelbe Spitze durch das Zahnfleisch schaute. Ich weckte Loger und sagte ihm, Opa könne ungeheuer spannend von einigen Überfällen erzählen und Loger setzte die Unterhaltung fort.
Es war nicht Fontes, der mich an diesem Morgen weckte. Eine große haarige Hand schüttelte mich. Als ich die Augen aufschlug, sah ich etwas, was mir den ganzen Tag verschönte. Jeder sollte es jeden Morgen sehen. Ein furchtbares gelbes Gebiß bleckte mich an. Sogar der rechte Reißzahn oben war wieder da. "Den haben wir gestern als ersten gefühlt", sagte Opa gerührt. "Sehe ich nicht wieder aus wie zwanzig, so richtig jugendlich?" Opa lehnte es ab, unser Brot und das Dörrfleisch zu probieren. Er knackte begeistert Knochen. Seine Söhne würden wieder Respekt vor ihm haben. Ein falsches Wort, und dann gäbe es Bisse. "Komm bloß nicht auf die Idee wieder zu heiraten", beschwichtigte Loger. "Neue Zähne hast Du zwar, aber Dein Fell bleibt trotzdem grau". Nein, wehrte Opa ab, dreimal sei genug. Er habe seine Lektion gelernt. Aber wenn er da an diese stramme Witwe aus den Bärenhöhle denke. Hatte er uns schon vor ihr erzählt? Vielleicht könnte Donisl auch etwas gegen das graue Fell tun.
Es war nun höchste Zeit zum Aufbruch. Der Ork gab zu der Stute noch ein Zaumzeug und malte ihr drei rote Streifen schräg auf die Hinterbacke. Daran sehe man, daß das Pferd nicht gestohlen sei. Die Farbe gehe in zwei oder drei Tagen wieder ab, und dann spiele es sowieso keine Rolle mehr.
Wir ritten auf die Berge zu. Ich berichtete über die Bevölkerung des Ormon-Gebirges. Loger hatte alles über den Stil der hier gebräuchlichen Überfälle und Hinterhalte erfahren. Trent d'Arby kannte die ungefähre Zahl der Besatzung jeder Burg und Donisl hatte die letzte Wache gehabt. Er nannte jeden Schamanen und Zauberer der Gegend mit Namen, Erfolgen und Mißerfolgen und wußte sogar von einigen verfänglichen Gerüchten. Lang anhaltende Zahnschmerzen lösen eben die Zunge. Leidet Mensch oder Zwerg oder Ork, braucht er einen mitfühlenden Zuhörer. Fontes mißbilligte es sehr, die Schmerzen irgendeines Wesens so auszunutzen, aber Donisl lachte nur. Opa sei zu einem absoluten Vorzugspreis zu neuen Zähnen gekommen. Fontes wollte wissen, warum Donisl es dann noch für nötig gehalten habe, dem armen Kerl die Stute abzuschwatzen, ein rassiges kleines Tier, aber für niemanden von uns geeignet. Und Packpferde hätten wir genug. Donisl wich aus. Pferde könne man nie genug haben, und die Stute sei schließlich einiges wert.
Wir gelangten in das Vorland des Gebirges und folgten der Spur einer Pferdeherde durch das Buschland die Hügel hinauf. Dann trafen wir auf einen Weg, und dort begann auch ein hoher Wald. Loger schulg vor, unsere Gruppe solle sich etwas auseinander ziehen, und Magier und Barbar stritten sich um die Ehre, als Vorhut vorauszureiten. Ich ließ das Argument von einem besonderen magischen Gespür für Hinterhalte nicht gelten, auch mußte ein Magier an sicherer Stelle mitten in der Gruppe bleiben, und schließlich ritt ich als erster. Der Wald war noch so licht, daß die Sommersonne breite tanzende Streifen auf den Weg warf. Ich hörte die Hufschläge der Gesellschaft hinter mir. Doch dann kam mir der Stamm einer hohen Buche eigenartig unscharf vor. Dabei schmeichle ich mir, sehr gut zu sehen. Ich hob beide Hände über den Kopf, spreizte Daumen und Zeigefinger und rief: "Zeige Dich Dämon, zeige Dichl" Die Buche wurde zu einem Buchenstrauch, hinter dem Martina hervorritt.
"Halt, Onkel Gregor", rief sie. "Kein Wort der Macht gegen eine arme kleine Gnomin". "Du reitest uns doch schon seit Stunden nach", sagte ich, "wie ein Wolf hinter der Schafherde. Schämst Du Dich nicht?" Die Gesellschaft schloß auf. "Hallo Martina", sagte Donisl unschuldig. "Hast Du ein Reservepferd?" "Der Himmel steh mir bei", flüsterte Fontes. "Ich habe die Grammatikübungen vergessen."
Donisl legte ein Geständnis ab. Es war nicht Raffi die Gans gewesen, die zuviel geschnattert hatte. Nach den Worten des Abtes sollte es diesmal durch eine heiße Wüste gehen, und Fontes Erfahrungen in allen Ehren, er habe jemanden dabei haben wollen, der in der Wüste aufgewachsen sei. Trent d'Arby grollte unwillig und Martina warf den Kopf zurück und funkelte ihn aus ihren blauen Augen an. Das Schlimmste habe er noch gar nicht gehört. "Komm heraus, Svenrho!" Aus dem Gebüsch kroch auf allen vieren der kleine Magier d'Assels. "Meinen Respekt, Exzellenzen, Euch großer Meister meine Verehrung". Donisl lächelte freundlich. "In was soll ich Dich verwandeln? Wäre eine Blindschleiche recht oder ein Mistkäfer, entscheide Dich schnell". "Neckt ihn nicht, sagte Martina. "Das alte Ekel hat eine Prämie auf ihn ausgesetzt. Einhundert lebendig und Zweihundert tot". Trent d'Arby hielt das für eine gute Idee. Es könnte die Reisekasse aufbessern. Aber Loger dachte praktischer. Er wollte den Steckbrief des Herzogs sehen.
Svenrho holte ein Blatt aus dem Ärmel und begann vorzulesen. "Gesucht wegen Diebstahls, Betruges ..." "Nur das Wichtigste!" unterbrach Loger. Svenrho räusperte sich und las weiter. "Verunglimpfung der Behörden, Beleidigung des Thrones, Umgang mit Teufeln und Schwarzer Magie. Schwarze Magie ist mit fetten Buchstaben geschrieben". "Zeig her", rief Donisl, "für diese Gegend ist das ja fast ein Empfehlungsschreiben". Er blinzelte mir zu und ich nickte. "Du kannst ein Stück mitreiten, aber Svenrho", sagte Donisl, "nur bei äußerstem Wohlverhalten".
Svenrho lief erleichtert den Hang hinauf und zog sein Pferd aus einem Gebüsch. Martina nahm die Leine ihres so vorausschauend erworbenen Reservepferdes und wir ritten weiter.
Wir kamen an einer kleinen Burg vorbei, mehr ein Wachtturm mit einer Mauer darum herum, und Trent d'Arby hatte die Zahl von etwa zehn waffenfähigen Leuten parat, viel zu wenig, um uns Ärger zu machen. Das Tor in der Mauer blieb auch brav geschlossen. Am Abend verkrochen wir uns in ein kleines Seitental. Svenrho produzierte unter Donisls beifälligem Nicken einen ganz ordentlichen Spruch, der das Gras wachsen ließ, und dann sah der Eingang des Tales so aus, als wäre seit Beginn des Frühlings niemand mehr hier durch geritten. Wir ließen die Pferde laufen. Nur Baran war heute wegen Martinas kleiner Stute etwas streitsüchtig und wurde beim Lagerplatz angepflockt.
Er hörte sich geduldig Fontes Ermahnungen über gutes Benehmen an. Überhaupt hatte er neben Loger eine Zuneigung zu dem Mönch gefaßt und liebte seine Nähe. Svenrho machte sich eifrig nützlich, sammelte Holz für das Feuer und erbot sich, zu kochen. Er brachte einen ordentlichen Eintopf zustande, der allerdings dadurch gewann, daß ihn Fontes abschmeckte und mit einigen Kräutern würzte, die er so nebenher aufgesammelt hatte. Ich erklärte Svenrho daß wir ihn nicht bis an das Ziel unserer Reise mitnehmen würden. Wir würden versuchen, ihm für die Zeit unseres Ritts durch die Wüste eine sichere Unterkunft zu verschaffen. Und bei unserer Rückkehr würden wir ihn dann wieder aufsammeln. Svenrho war zufrieden. Von der Wüste hatte er einstweilen genug.
Donisl hörte ihn ab. Svenrho konnte einige mehr oder weniger nützliche Tränke brauen, zum Beispiel gegen Magenverstimmung oder Gliederreißen, einen Trank zum Wechseln der Haarfarbe und einen ganz ordentlichen Liebestrank. Er hatte eine Vielzahl von einfachen Sprüchen und versicherte, er beherrsche sie überwiegend gut. Von der stärkeren Magie hatte er nur zwei Sprilche erworben, wollte aber nicht verraten, welche. Das beunruhigte Donisl nicht weiter. Er sagte gnädig, er werde mit Svenrho, falls sich die Gelegenheit ergäbe, in den nächsten Tagen üben. Dann bat er ihn um Aufmerksamkeit und wiederholte präzise das, was er von Opa Einzahn über die hiesigen Magier und Schamanen erfahren hatte. Svenrho mußte sich Notizen machen.
Der restliche Abend verging mit einer angenehmen Plauderei am Lagerfeuer. Je kleiner die Holzscheite herunterbrannten, umso größer wurde Trent d'Arbys befestigter Hof. Am Schluß war er schon eine prächtige Burg.
Der nächste Tag war verhangen und gelegentlich regnete es. Martina als Wüstenkind sprach von schönem Wetter, aber ich fand es unangenehm, wie die Feuchtigkeit langsam durch die Kleider zog. Als ich für einige Zeit als Vorhut vorausritt, war ich nicht gerade in heiterer Stimmung und vielleicht auch nicht aufmerksam genug.
Ich bog gerade um eine Wegkehre, als sich vor mir auf dem Hang neben einem verdorrten Baum ein Mensch und ein Halbork aus dem Gebüsch erhoben. Sie hatten gespannte Bögen in der Hand und schon flogen zwei Pfeile auf mich zu. Ich spürte zwei leichte Schläge auf meinem alten Kettenhemd, und die Pfeile zersplitterten mit einem bösen Gestank. Diese Lauselümmel schossen mit Scherzpfeilen auf mich, um mich zu ärgern. Ich richtete mich in den Steigbügeln auf und drohte mit dem Zeigefinger. Der Mensch glotzte mich aus großen Augen an, aber der Halbork war wohl etwas langsamer von Begriff. Er spannte erneut den Bogen und wieder zerplatzte ein Spielzeugpfeil mit Gestank auf meinem Kettenhemd.
Ich wurde nun doch böse. Ich holte aus und mein Hämmerchen traf den verdorrten Baum in der Mitte. Er war so morsch, daß er sich durch den Wurf in zwei Teile aufspaltete. Eine Unzahl von Ästen regnete herab. Zu meiner Befriedigung sah ich, wie ein kräftiger Ast dem Halbork auf den Kopf fiel. Als der Hammer in meine Hand zurückkehrte, tat ich so, als wollte ich noch einmal ausholen. Die Bengels machten kehrt und verschwanden schreiend im Gebüsch. Ich ließ sie mit dem Schrecken davonkommen. Es war ja nur ein Streich gewesen.
Den anderen erzählte ich nichts von dem Vorfall, denn als sie aufschlossen, kam ein kleiner Wolkenbruch herunter. Auch Martina meinte, jetzt wäre es zu naß. Der Regen hörte jedoch bald auf, und wir ritten schweigend weiter.
Am Nachmittag zogen wir durch ein enges gewundenes Tal, als wir einen richtig spannenden Überfall erlebten, genauso wie Opa Einzahn es uns erzählt hatte. An der engsten Stelle des Tales standen etwa fünfzehn wilde Burschen. Der Anführer war ein großer rothariger Mensch, der sich ein eisenbeschlagenes Lederband als Helm um den Kopf gebunden hatte. Er trug eine doppelschneidige Axt in der Hand und seine Kumpane waren mit allen möglichen Mordwerkzeugen ausgestattet, hauptsächlich mit langen Spießen.
Das alles sahen wir auf gut dreihundert Schritt Entfernung. "Svenrho", sagte Donisl. "Was tut ein erfahrener Magier in dieser Situation?" "Er spricht einen vernichtenden Spruch", antwortete Svenrho und sah hoffnungsvoll zu Donisl auf. "Nein", sagte Donisl. "Ein erfahrener Magier versteckt sich schnell hinter einem größeren Mann, um aus der Schußlinie zu kommen".
Er drängte seine Stute genau hinter mich. Svenrho glotzte dümmlich, beeilte sich dann aber, seinem Beispiel zu folgen.
"Und was empfhielt ein erfahrener Kriegsmann?", wandte ich mich an Trent d'Arby. Dieser blickte ruhig das Tal hinauf. "Wir sind zwar doppelt so stark wie diese Kerle da, Onkel Gregor, aber vielleicht reiten wir in Zukunft diesen Weg öfter. Ich empfehle zu verhandeln".
"Dann verhandele, Du merkwürdiger Barbar!" Trent d'Arby schlug seinen Mantel zurück, so daß die Brustplatte und der vollgerüstete linke Arm zu sehen waren und ritt voraus. "Wenn es zum Streit kommt, Donisl", sagte ich, "Schick einen Spruch nach links, der sie dort auseinandertreibt. Loger bricht als erster durch und die anderen folgen. Ich helfe Trent. Aber keinen Spruch, der die Pferde scheu macht". "Jawohl, Herr Oberst", grinste Donisl. "Einen ganz leisen Blitz, ganz ohne Donner".
Trent d'Arby hielt sein Pferd zwei Längen vor dem Anführer an. "Mach den Weg frei. Ich bin Trent d'Arby und reite unter dem Schutz des Königs".
Nun, für die Eröffnung von Verhandlungen waren das starke Worte. Der rothaarige Bandit zeigte die Zähne. "Ich nehme hier den Wegzoll ein", knurrte er. "Zahlt den Zoll, und Ihr könnt weiter". "Und wieviel beträgt der Zoll?" "Eure Waffen, Eure Pferde und Euer Geld. Eure Kleider und Euer Leben lassen wir Euch". "Du bist ein Schurke!" brüllte Trent d'Arby. "Wir reiten im Namen des Königs. Auf die Knie, damit er Dir verzeiht". Loger trieb sein Pferd einige Schritte zur Seite, damit Donisl's Spruch freie Bahn hatte.
"Mein lieber d'Arby", rief er. "Bezähmt Euch. Euer Vetter, der gute König Henri, wird es diesmal nicht glauben, daß es wieder ein Kampf für die gute Sache war. Nicht so kurz nach der Geschichte mit dem seligen Baron Rumkorf. Und verlaßt Euch auf eins, nach einer Woche tauchen für jeden der Kerle hier drei Witwen und zwanzig Kinder auf. Und diesmal müßt Ihr das Blutgeld ohne Widerrede zahlen und Eure Apanage für den ganzen Monat ist zum Teufel".
Die Mauer unserer Feinde begann zu bröckeln. Trent d'Arby riß wütend sein Pferd herum. "Halt den Mund, Dieb!", schrie er zornrot. "Es sind kaum fünfzehn Kerle und ich soll micht bezähmen?"
Das Verhandlungsgeschick des Barbaren hatte mich bisher nicht beeindruckt. Doch seine Eröffnungstaktik war bewundernswert. Sein Hengst stampfte jetzt so kurz vor dem Anführer der Banditen auf den Boden, daß ich für die nächste Sekunde einen doppelten Huftritt der Hinterhand auf den Rothaarigen erwartete.
"Junger Herr!" sagte ich begütigend. "Der Herr Ritter ist keineswegs ein Dieb. Er ist Euch bei Eurer kleinen Wette ganz redlich immer noch um zwei Köpfe voraus". Hatte ich vorhin fünfzehn Wegelagerer gezählt?
"d'Arby", sagte Loger jetzt, "Ihr als Edelmann werdet doch nicht einen einzelnen schutzlosen Mann angreifen wollen?" Ich ritt zu dem verbliebenen Banditen und tätschelte ihn freundlich auf die Wange. "Der junge Herr ist eigentlich ganz umgänglich, wenn er den ersten Becher Wein getrunken hat. Das nächste mal, wenn er vorbeireitet, laßt ihm von einer schmucken Jungfrau einen Pokal reichen, und er wird Euch keinen Ärger machen". "Jawohl, Exzellenz", keuchte der verunglückte Räuber, "um Vergebung, Euer Gnaden". "Beinahe hätte ich mich geärgert", sagte Trent d'Arby. "Aber dann hat meine gute Erziehung die Oberhand gewonnen."
Wir ritten weiter. "Was war das?" fragte Svenrho. "Das war ein Sieg der Frechheit", sagte Donisl. "Ich hoffe, Du hast etwas gelernt."
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