Ich bin an der Küste aufgewachsen, und vielleicht ziehen mich deshalb die Berge besonders an. An jeder Wegbiegung öffnet sich ein neuer Blick, und immer wieder verändert sich die Landschaft, wenn man weiterzieht. Hier fällt eine schroffe Felsnase auf, dort ein riesiger Baum, der dem Schnee im Winter und den Stürmen im Frühling seit Ewigkeiten getrotzt hat. In den Felsen erkennt man seltsame Gesichter, und die Berge selbst sind große Drachen, die in der Sonne ihren jahrtausendlangen Schlaf halten.
Im Westen erhob sich jetzt ein schneebedeckter Gipfel, der Kopf eines Riesen mit weißem Haar, im Südosten zeichnete sich gegen die Sonne ein Paß ab. Dort mußte das von dem alten Ork genannte Gasthaus liegen. Ich meinte sogar, den Rauch des Küchenkamins in den blauen Himmel aufsteigen zu sehen.
Nun ritten wir am Rand eines Abhangs entlang, und tief unter uns tobte ein Bach durch eine Schlucht. Selbst hier oben hörte man das Rauschen des Wassers. Nach einigen Stunden lichtete sich der Wald in ein langgestrecktes Hochtal.
Wir hörten die Glocken von Rindern. Bald sahen wir auch einen alten Hirten, der uns auf einen kurzen Speer gestützt vom Wiesenhang herunter beobachtete. Ein kleiner Junge neben ihm winkte uns zu, und Fontes und Martina winkten fröhlich zurück. Dann roch man schon deutlich den Rauch von Holzfeuern, und nach zwei weiteren Wegkehren waren wir da.
Illes Gasthaus, das dem Platz seinen Namen gegeben hatte, war ein gewaltiger kastenförmiger Bau aus dicken Felssteinen. Das flache Dach zog sich an zwei Seiten weit über die Mauern, um Platz für Ställe und Lagerräume zu geben. Auf der anderen Seite des Weges stand eine Reihe von Holzhäusern mit einem Laden, einer Schmiede und einer Sattlerei. Dahinter waren Gatter für Pferde und Rinder. Halb hinter dem Gasthaus stand ein aus Holzbalken errichteter dreieckiger Turm. Über der Tür des Turms hing ein gewaltiger Rinderschädel, auf dessen Stirn mit roter Farbe ein fünfzackiger Stern aufgemalt war.
"Da wohnt die Konkurrenz, Svenrho!" sagte Donisl und zeigte mit dem Finger auf den Turm. "Wir machen nachher einen Höflichkeitsbesuch." Vor dem Gasthaus sprangen wir von den Pferden. Aus dem Tor liefen zwei junge Orks in fast sauberen Lederkleidern, die sich der Zügel annahmen. "Sieben Gäste", rief der eine in Menschensprache über die Schulter. "Drei Krieger, drei weise Männer und eine kleine Frau mit Waffen". Aus dem Dunkel der Tür kam jetzt ein hünenhafter Kerl in Lederrüstung mit aufgenähten Eisenplatten. An seinem wolligen schwarzen Haar und an dem kräftigen Kiefer sah man, daß er einen guten Schuß Trollblut in den Adern hatte.
"Willkommen Herrschaften", sagte er. "Kommt herein.Unsere Speisen sind vorzüglich, wir haben selbstgebrautes Bier, und die Preise sind niedrig. Ihr könnt Eure Pferde ruhig den jungen Burschen hier überlassen. Wir sind der Marktplatz für die ganze Gegend und deshalb gilt immer Marktfriede. Nichts für ungut, Ihr versteht mich doch, Marktfriede". Martina lachte den großen Mann an. "Die Krieger werden sich benehmen, und ich tue Dir auch nichts", sagte sie, langte mit der Hand nach oben und schlug ihm ihre kleine Faust auf eine der Brugtplatten. Vorausgesetzt natürlich, Euer Essen ist gut und die Bierhumpen sind groß genug."
Dann ging sie mit flotten Schritten und wehendem Mantel in den Gastraum. Es war ein großer Saal mit einigen Fenstern und rußgeschwärzter Decke. Ein langer Schanktisch zog sich über die eine Seite, und dahinter waren für jeden einsehbar ein großer Kamin mit einem Gestell für Bratspieße und mehrere Kochherde. Eine große Frau mit fast hüftlangen blonden Haaren kam uns entgegen. "Willkommen meine Dame, willkommen ehrwürdiger Mönch, meine Herren! Ich bin Ille, die Wirtin. Nehmt Platz und macht es Euch bequem. Ich hoffe, Ihr hattet einen friedlichen Ritt in dieser schönen Jahreszeit". Wir setzten uns an einen Tisch aus weißgescheuertem dicken Holz, warfen die Mäntel über die Lehnen der Bänke und banden, so vorhanden, die Schwertgürtel los.
"Ebra!" rief die Wirtin in Richtung des Kamins. "Komm her und nimm die Bestellungen auf". Dann rauschte sie mit langen Schritten zur Tür, um, wie sie sagte, nach unseren Pferden zu sehen. Ebra war weißhaarig und ebenso groß und stark wie die Wirtin. Die Berge bringen halt einen gesunden Menschenschlag hervor. "Ich habe hier ja nichts zu sagen", flüsterte er mit einem scheelen Blick zur Tür. "Nehmt bitte nicht den Rinderbraten, auch wenn meine Frau ihn empfiehlt. Nehmt auch nicht die sauren Nieren. Aber das Bergschaf mit Zwiebeln habe ich selbst auf dem Backblech gerichtet, und es ist vorzüglich". "Für mich nur Brot und Käse", sagte Fontes, dem urplötzlich und zum ersten mal auf diesem Ritt seine Fastenregeln wieder eingefallen waren. "Und siebenmal das Schaf", rief Trent d'Arby. "Ich.nehme zwei Portionen auf mich". "Siebenmal die Nummer drei", sagte Ebra und zwinkerte uns zu. "Ihr werdet es nicht bereuen. Und sieben Bier, versteht sich."
Ebra ging hinter den Schanktisch und begann dort geräuschvoll mit Tellern und Besteck zu hantieren. Die Wirtin kam in den Gastraum zurück, setzte sich an unseren Tisch und fragte nach unserem Woher und Wohin. Bevor auch nur ein falsches Wort gesagt werden konnte, war Donisl schon in einer harmlosen Schilderung begriffen. Der fromme Bruder suche jenseits der Berge nach einem kürzlich verschollenen Mitglied seines Ordens. Die drei Krieger würden ihn auf Empfehlung oder vielmehr auf dringendes Ersuchen des guten Königs Henri begleiten, und er selbst habe von einem sehr weisen Magier gehört, der jenseits der Berge seinen Studien nachgehen solle. Die junge Gnomin begleite.die Gesellschaft aus reiner Abenteuerlust. Ille schlug die Hände über dem Kopf zusammen. So ein Unverstand! Die Gegend jenseits der Berge sei unsicher und gefährlich. Dort hausten nämlich Trolle, Drachen und hauptsächlich böse Geister. Die Bewohner des Hochtals würden ihre Tiere allenfalls ein paar Stunden weit zur Weide auf die Südseite treiben, und selbst die kühnsten Jäger wagten sich höchstens ein oder zwei Tagesmärsche auf der anderen Seite in Richtung Süden. Erst vor drei Tagen sei eine arme Kuh, die sich zu weit von der Herde weggewagt habe, dort schrecklich zugerichtet mit zerrissener Kehle verendet von ihrem Hirten aufgefunden worden. Die ganze Gegend habe eindeutig nach Schwefel gerochen.
Nun wurde Ebras Warnung vor dem Rinderbraten vielleicht verständlich. Ebra brachte in diesem Augenblick auf einem großen Tablett dampfende Teller und flüsterte seiner Frau zu, es sei halt nichts zu machen gewesen. Die Herrschaften hätten auf der Nummer drei bestanden. Als er auch vor Fontes einen Teller abstellte, war dieser gerade damit beschäftigt, die Wirtin nach genauen Einzelheiten über die Drachen zu befragen, so daß er keinen Einspruch erhob. Ille berichtete mit leuchtenden Augen von einem schrecklichen Ungetüm, welches der Mann ihrer jüngsten Schwester erst vor wenigen Jahren gesehen habe, so daß es ihm vor Schreck seither die Sprache verschlagen habe, dem armen Kerl, kaum drei Tage nach seiner Hochzeit. Ebra setzte an, dazu eine kluge Bemerkung einzuwerfen, besann sich dann aber eines besseren und kehrte zum Schanktisch zurück.
Das Essen und das Bier, das Ebra in großen Krügen gebracht hatte, waren ausgezeichnet. Die Unterhaltung, die im wesentlichen von Ille bestritten wurde, war appetitanregend. Die Trolle der Gegend seien eigentlich ganz harmlos, berichtete sie, wenn auch hier und da gerade von Zwergen behauptet würde, die Trolle würden anderen Leuten den Kopf abbeißen und das Gehirn herausfressen. Das sei sicherlich nur Verleumdung. Aber daß es böse Geister im Süden gäbe, das sei eine unbestreitbare Wahrheit. Zwar habe sie selbst noch nie einen Geist gesehen, es müßten aber viele und furchtbare Geister sein. Donisl fragte, auf beiden Backen kauend, ob denn nicht der Magier des Ortes, der aus dem dreikantigen Turm, nichts gegen die Geister unternehme. Hieße der Magier nicht Lezard oder so ähnlich? Ille schaute traurig drein. Der arme Lezerd sei vor zwei Monaten verschieden, ganz plötzlich und friedlich. Seitdem stünde der Turm leer. Ein großer Verlust für die ganze Gegend. Donisl's Augen leuchteten. Ich sah eine heimliche Bewegung unter dem Tisch und bemerkte, wie Svenrho ihm gegenüber zusammenzuckte.
"Lieber Kollege Svenrho", fragte Donisl bedeutungsvoll, "Wolltest Du nicht gerade etwas wichtiges sagen?" "Äh", sagte Svenrho und dachte angestengt nach. "Von Lezard sagt man, daß er schon seit Jahren an der Flasche hing." "Nein", sagte Donisl, "das ist doch unwichtig. Was wolltest Du eigentlich sagen?" "Nun", zögerte Svenrho, "man sagt auch, daß er getrocknete Pilze geschnupft hat, um richtig in Fahrt zu kommen." Diesmal bekam Svenrho unübersehbar einen kräftigen Tritt unter dem Tisch und hatte auch sofort eine Erleuchtung. "Ich habe in der Steppe gehört, daß Lezard ein Verhältnis mit der.Frau des ..." "Halt', brüllte Donisl. "Mein fähiger Kollege Svenrho ist immer so in Gedanken. Er will sagen, daß seine Studien es ihm eigentlich verbieten, einen so gefährlichen Ritt wie den unseren weiter zu begleiten. Er würde gerne hier in der gesunden Bergluft etwas meditieren. Selbstverständlich kann er auch nebenbei zu angemessenen Preisen die einheimische Bevölkerung mit der notwendigen Magie versorgen, wo doch das Hinscheiden des unvergessenen Lezard eine so tiefe schmerzliche Lücke hinterlassen hat." "Genau das wollte ich ja sagen Meister", sagte Sventho verdattert. "Aber irgendwie war ich geistesabwesend, bis Ihr mir nachgerade die Worte, die ich sagen wollte, aus dem Mund genommen habt."
Ille war entzückt. Sie sei Eigentümerin des Turmes und würde ihn Svenrho selbstverständlich zu den selben Bedingungen vermieten wie dem seligen Lezard. Ille, Svenrho und Donisl verhandelten nur der Form halber. Donisl zählte Ille dann fünfzig Goldkronen in die Hand als Miete für drei Monate und für die Übernahme des gesamten Inventars, was immer es auch sei, denn niemand hatte nach Illes Versicherung bisher gewagt, den Turm zu betreten. Martinas Illusionen brachten es tatsächlich fertig, daß Svenrho gefaßt und würdevoll aussah, als Ille ihm den großen versilberten Schlüssel für den Turm überreichte.
Wir gingen gemeinsam nach draußen. Loger tastete die Tür des Turms kurz ab und schüttelte verneinend den Kopf. Donisl und Martina schlossen die Augen und versanken für einige Augenblicke in Meditation. Dann schlug Donisl die Augen wieder auf. Leider könnten nur er, Svenrho, Martina und ich den Turm betreten, um Lezards vielleicht noch umherschweifenden Schatten nicht zu beleidigen. Die anderen müßten draußen bleiben, wollten sie nicht riskieren, sofort in etwas sehr Unangenehmes verwandelt zu werden. Ille war enttäuscht, aber Loger bat sie galant darum, ihm die Namen der umgebenden Berggipfel zu nennen, und so zog sich der Rest der Gesellschaft zurück. Donisl schloß die Tür auf und trat unbekümmert als erster ein. Hinter uns schloß er sorgfältig wieder ab.
Wir standen in einem großen dreieckigen Arbeitsraum, aus dem eine Treppe nach oben in die beiden Stockwerke führte, die als Wohnung des Magiers gedient hatten. "Da sind die magischen Gerätschaften", sagte Svenrho und wollte auf ein Regal an der Wand zueilen. "Halt", sagte Donisl. "Ich möchte mir die Sachen zuerst alleine ansehen, ob nicht irgendetwas Gefährliches dabei ist. Du würdest dabei nur stören. Kannst Du eigentlich schweben, Svenrho?" "Ja, ich kann einige Zeit lang schweben, auch wenn es sehr anstrengend ist", erwiderte Svenrho stolz. "Dann schwebe etwas, mein Guter, genau über diesem Tisch", sagte Donisl streng. "Und wenn Du früher herunter kommst, als ich es erlaube, dann wirst Du merken, daß Feuer unter dem Hintern längeres Schweben ungemein erleichtert".
Svenrho schlug die Arme vor der Brust zusammen und begann zu murmeln. Leicht schwankend erhob er sich in die Luft, verschränkte die Beine in den Schneidersitz und schwebte ein Stück nach vorne, bis er genau über dem Tisch hing. "Denke erhebende Gedanken, Svenrho", sagte Donisl. "Die ganze Zeit erhebende Gedanken". Donisl und Martina schlugen die Ärmel ihrer Roben zurück und begannen, die Gegenstände in den Regalen abzutasten, ohne sie jedoch sichtbar zu berühren. Ich nahm ein Buch mit schwarzem Ledereinband von einem Hocker, setzte mich und begann zu blättern. Ich sah mir jede Seite an, merkte irgendwie, daß die Seiten beschrieben waren, konnte jedoch kein Wort entziffern. Die Bedeutung,von Zauberschriften tut sich nur dem Wissenden kund.
Als mir das Blättern zu langweilig wurde, schaute ich wieder zu Donisl und Martina. Martina steckte irgendetwas ein und gab Donisl einige Goldstücke. Donisl nichte lachend und nahm dann selbst einen Gegenstand vom Regal, der wie ein kleiner weißer Kiesel aussah. Die beiden waren offenbar fertig. "Du kannst jetzt herunterkommen, Svenrho", sagte Donisl. Ein schweißtriefender und zitternder Svenrho ließ sich mit einem erleichterten Aufseufzen auf die Tischplatte fallen.
"Die Regale sind ganz ordentlich bestückt", sagte Donisl. "Du findest alle möglichen brauchbaren Sachen in den Regalen. Schmeiß die getrockneten Pilze in irgendeine Schlucht, damit niemand in Versuchung kommt. Aber für Deinen bevorzugten Liebestrank findest Du genau das, was Du für leichte Fälle brauchst". Donisl bat mich um das Buch. "Das war Lezards Zauberbuch. Du kannst hoffentlich sehen, daß es mit einer Feuerrune gesichert ist. Du öffnest es so. Sieh genau hin!"
Donisl verschränkte die Finger seiner rechten Hand und schlug den Deckel auf. Er blätterte das Buch schnell durch und gab es dann Svenrho. "Es sind einige Sprüche enthalten, die Du vielleicht noch nicht kennst. Übe sie, bevor Du sie zum ersten mal an einem denkenden Wesen ausprobierst, mindestens siebenmal zwischen Mitternacht und Morgen an einer einsamen Stelle. Und nun zeig mir, wie Du das Buch öffnest." Svenrho konzentrierte sich, verschränkte die Finger und öffnete das Buch. Der Inhalt nahm ihn sofort gefangen und er begann, mit großen Augen hastig zu lesen. Donisl griff nach dem Buch, nahm es Svenrho aus der Hand und klappte es zu. "Dafür ist später Zeit. Räum hier gründlich auf, beschrifte alles, was Du kennst und was Du nicht kennst, das laß in Ruhe. Du hast die ganze Nacht Zeit. Morgen früh komme ich, um zu kontrollieren. Und nun das Wichtigste. Weil Du ein aufstrebender junger Mann mit leidlich guten Anlagen bist, hat sich Martina an dem Geschäft beteiligt. Wir haben besprochen, daß Du von dem Reingewinn bis zum Zeitpunkt unserer Rückkehr die Hälfte behalten darfst. Führe genau Buch und lege in gutgeprägten Goldstücken von vollem Gewicht zwei Zehntel für Martina und drei Zehntel für mich zurück". Svenrho war von dieser unerwarteten Großzügigkeit überwältigt. "Das Zauberbuch ist nur geliehen", schloß Donisl ab. "Aber vielleicht gelingt es Dir in den nächsten Wochen, den einen oder anderen Spruch in Dein Buch zu kopieren. Wir erheben keine Einwendungen." Donisl wandte sich an uns. "Insgesamt sind Nachlaßverwaltungen manchmal ganz einträglich, nicht wahr, Leute?"
Während aus dem Holzturm kräftige Geräusche klangen, vertrödelten wir anderen den Rest des Nachmittags. Wir bummelten ein paar mal die einzige Straße der kleinen Siedlung auf und ab und gingen dann auf eine Wiese. Ich legte mich auf den Rücken und ließ mich von der Nachmittagssonne bescheinen. Trent d'Arby rieb mit einem weichen Tuch über die Plattenteile seiner Rüstung und versuchte, sich in dem Glanz des matten Brauns zu spiegeln. Loger und Martina übten auf dem Hang über uns mit dem Bogen. Als Martina sich dann setzte, um mit einem trockenen Stück Baumharz über ihre Bogensehne zu fahren, schlenderte auch Donisl heran. Im Halbschlaf hörte ich einige Gesprächsfetzen der beiden, daß Lezard ein ängstlicher Mensch gewesen sein müsse, denn unter seinen Vorräten hätten sich unzählige Pulver zum Streuen von Schutzkreisen befunden, und ein ganzes Bündel dünner Eschenstäbe zum Legen von Pentagrammen.
Als es kühler wurde, rappelte ich mich auf. Schließlich fanden wir uns alle nach und nach auf einer Bank vor dem Gasthaus versammelt. Zu Mittag waren wir die einzigen Gäste gewesen, aber jetzt waren viele Pferde draußen angebunden. Als wir in den Gastraum hineingingen, war der Saal gut besetzt. Ebra hatte uns an unserem Tisch zwischen einem älteren Troll und einer lustigen Bande junger Zwerge Plätze frei gehalten. Er empfahl uns den schwarzgeräucherten Schinken, nicht ganz billig, versteht sich, aber gut, und die Käseplatte. Wir bestellten und Ebra trug auf. Bald war, während wir aßen, eine lebhafte Unterhaltung mit unseren Nachbarn im Gange. Die einfachste Art für mich, mit Fremden am Wirtshaustisch ins Gespräch zu kommen, ist, sie nach einheimischen Rezepten zu fragen. Fontes und ich hatten sofort ein interessantes Gespräch mit dem Troll über die Arten der Zubereitung von Fisch. Ich als Gastwirt einer Hafenstadt sprach über Seefische und der Troll über die hier heimischen Flußfische im Tal. Das war nun eine sehr interessante Information, denn bisher hatten wir noch niemanden getroffen, der von der anderen Seite der Berge kam. Ich versuchte unauffällig, etwas nachzubohren, aber Fontes verdarb mir diesen Ansatz. Fisch ist in Klöstern eine beliebte Speise, und der experimentierfreudige Mönch hatte eine besondere Beize zum Einlegen roher Fische entwickelt. Dieses Rezept interessierte den Troll außerordentlich, Fontes diktierte, und der Troll schrieb in ungelenken Buchstaben das Rezept und dann noch weitere Rezepte in Stichworten auf eine dünne Holzschindel, die er aus seinem Umhang geholt hatte.
Ich wandte mich nach rechts. Loger unterhielt sich mit einem der Zwerge, offenbar einem Kunstschmied, über den Aufbau von sicheren Schlössern und zeichnete mit seinem ins Bier getauchten Finger verwirrende Linien auf den Tisch. Martina scherzte an Logers Rücken vorbei mit zwei anderen Zwergen darüber, welche Vorzüge ein Mann haben müsse, um ihr zu gefallen. Als ich bemerkte, daß der Troll seine Holzschindei.wieder einsteckte, wollte ich mich ihm erneut zuwenden, um näheres über das Tal zu erfahren. Doch jetzt entstand ein neues Hindernis. Die meisten Gäste hatten gegessen, und der Betrieb hinter dem Schanktisch war ruhiger geworden. Die Wirtin Ille kam und fragte, ob sie an unserem Tisch Platz nehmen dürfe. Der Troll und Fontes rückten ein Stück zur Seite, und Ille setzte sich zwischen sie. Dann schob sich an ihrer Seite vorbei eine spitze Hundeschneuze und ein großer Hirtenhund mit traurigen Augen legte seinen Kopf auf Fontes Schenkel.
"Ich komme wegen des armen Hundchens", sagte Ille. "Mein kleiner Liebling ist krank und hat schlimme Bauchschmerzen. Den ganzen Nachmittag hat er gejammert, und ich habe neben ihm gesessen und ihm den Bauch gerieben. Aber es ist nicht besser geworden. Jetzt soll ihm Ebre einen Haferbrei mit Milch machen, aber vorher wollte ich Euch, gütiger Meister, fragen, ob es so richtig ist." Ille sah dabei verlegen auf Donisl. Donisl schwieg eine Spur zu lange. "Der selige Lezard hat sich auch immer der kranken Tiere angenommen", sagte Ille trotzig. Donisl zauberte verspätet ein warmes Lächeln auf sein Gesicht. "Ich helfe selbstverständlich immer, wo ich kann", erwiderte er. "Doch der wahre Zauberkundige im Umgang mit Tieren ist der fromme Bruder hier. Seine Leistungen sind dabei unübertrefflich. Seht, wie das Hundchen bereits vertrauensvoll den Kopf in seinen Schoß gelegt hat." Fontes kraulte schon angelegentlich den Hund zwischen Kopf und Schultern. Dann begann er zu hecheln und zu winseln, und der Hund hechelte und winselte zurück. llle war sprachlos. "Habe ich Euch nicht gesagt, daß der Mönch ein Meister im Umgang mit Tieren ist", sagte Donisl erleichtert. "Ich bringe den Haferbrei", erklang jetzt Ebras Stimme. "Ach, das arme Hundchen, wie muß es leiden", bedauerte Ille ihren Hund. "Ich habe Bauchschmerzen", sagte Ebra. "Ist der Haferbrei auch nicht zu heiß?" fragte Ille zurück. "Ich habe Bauchschmerzen", sagte Ebra, "weil ich den ganzen Nachmittag alleine am Herd gestanden habe". "Sehr schön, dann gib den Haferbrei her", sagte Ille. "Ich habe auch Bauchschmerzen", sabte Ebra kläglich. "Ach so", sagte Ille. "Stell den Haferbrei auf den Tisch und trink einen Schnaps". Ebra zwinkerte uns grinsend zu und kehrte zum Schanktisch zurück.
Fontes und der Hund hatten die Ebene ihres Gesprächs um ein Knurren und ein leises Bellen erweitert. Jetzt nahm Fontes die Schüssel mit dein Haferbrei, machte einige geheimnisvolle Gesten darüber und hielt sie dem Hund hin. Die Schüssel war im Nu leer und das Hundchen leckte sich zufrieden die Lefzen, wobei es ein beeindruckendes Gebiß zeigte. "Es war ein sehr schwerer Fall, gute Frau", sagte Fontes streng. "Aber ich habe dem Tier gerade noch das Leben gerettet. Der Hund muß heute nacht in Eurer Schlafkammer schlafen, und Ihr dürft ihn nicht aus den Augen lassen. Falls wider Erwarten ein Rückfall eintritt, benachrichtigt mich sofort. Und nun geht!" Ille stand auf, machte mit großen verwundenen Augen einen Knicks und zog sich zurück. "Bravo Fontes", sagte Donisl. "Ich wußte nicht, daß Du die Haferbreimagie so vollkommen beherrscht". "Ich habe gelogen", sagte Fontes bekümmert, "so wie ich es von Dir und dem Dieb gelernt habe. Euch beiden ist es Gewohnheit, aber mich macht es traurig. Der Hund war nicht krank. Er hatte nur furchtbare Angst, und ich habe ihn beruhigt". "Wovor hatte das Tier denn so viel Angst?" fragte Donisl, aber Fontes zog den Kopf zwischen die Schultern und schwieg.
Von dem großen Haupttisch in der Mitte des Gastraums klang jetzt eine klare wohltönende Stimme zu uns herüber. "Die Götter wollen, daß alle Rassen gedeihlich nebeneinander leben". Ich sah auf. Es war ein Mönch des Gelben Ordens, der sprach. Ich hatte ihn nicht hereinkommen sehen. Der Gelbe Orden ist berühmt für die strenge Zucht, die er seinen Mitgliedern auferlegt, und für die verständnisvolle Toleranz, die er anderen Glaubensrichtungen gegenüber zeigt. Der Mönch sprach weiter. "Jede Rasse soll sich nach den besten Kräften, die ihr innewohnen, entfalten können. Was wäre die Welt, ohne die Kraft der Trolle, die Wildheit der Orks und die Kunstfertigkeit der Zwerge? Sie wäre ein trostloser Ort, fehlte die segensbringende Kraft des Wettbewerbes zwischen den verschiedenen Völkern. Denn jedes Volk kann aus seiner Eigenart Gutes in diese Welt bringen, und eine Rasse kann von der anderen lernen. Doch die eigenständige Kraft der Rassen wird verwässert, wenn nicht jede auf die Erhaltung ihrer von den Göttern gewollten Reinheit achtet. Diese heilige Reinheit gerät jetzt in Gefahr. Einerseits durch die Gleichgültigkeit der Herrschenden und andererseits durch die Gedankenlosigkeit der Jugend. Auch wenn die Alten das heiße Blut der Jugend verstehen können, ist dies keine Entschuldigung vor den Göttern. Was ist denn ein Halbork, obwohl ich glücklicherweise keinen Halbork unter Euch sehe. Er ist zwar kräftig, aber nicht so stark wie der reine Ork. Er ist zwar leidlich gescheit, aber nicht so klug wie der Mensch. Und das Schlimmste ist, er wird von beiden Völkern verachtet und hat keine wahre Heimat. Deshalb sollen die Rassen sich nicht vermischen, denn aus einer Vermischung entsteht kein neues Ganzes. Auch räumlich sollten die Rassen sich nicht durchdringen. Ist denn nicht die Empörung der Zwerge verständlich, wenn ein Troll in ihre Höhlen eindringt? Beschweren sich die Orks nicht zu Recht, wenn Elfen in ihren Wäldern jagen? Deshalb sollte der Raum unter dem Boden nur den Zwergen alleine gehören, die Berggipfel mit ihrem reinen Eis allein den Trollen. Die Orks müssen ungestört in ihren Wäldern und Sümpfen jagen können, und niemand wird sich dann daran stören, wenn sie mit ihren langen Zähnen dem Hirsch die Halsadern zerreißen. Der Mensch aber ist die älteste der Rassen und die klügste. Deshalb soll der Mensch über die Trennung der Rassen wachen und sie alle nach dem ihm von den Göttern gegebenen Auftrag in Demut leiten". Einige der Zuhörer klatschten Beifall, einige nickten ernst.
"Der Hund hat sich vor dem da gefürchtet", flüsterte Fontes. "Oh, wäre nur ein wahrer gelber Vater da, um dieses schändliche Trugbild zu verbrennen!" "Martina!" sagte Donisl heiter, "wir sollten nach dem armen Svenrho sehen, damit er nicht alles durcheinander bringt." Martina sah in Donisls plötzlich wieder von einer gelben Iris umrahmten Augen, rief den Zwergen ein Scherzwort zu und stand auf. "Kommt mit Leute", sagte ich, "wir wollen noch nach den Pferden schauen. He, Ebra, wir schlafen entweder im Turm oder bei diesem milden Wetter draußen." Ebra winkte uns mit der Schnapsflasche zu.
Wortlos gingen wir zum Turm. Trent d'Arby hatte seine Klinge gezogen und hielt sie in der linken Armbeuge unter seinem Mantel versteckt. Wir gingen um den Dreiecksbau herum, bis wir außer Sichtweite des Gasthauses waren. "Was ist passiert?" fragte Trent d'Arby. "Ich habe zwar auch gemerkt, daß es eine bösartige Rede war, um Streit vorzubereiten, aber Donisls Augen wurden wieder gelb und Fontes sieht auch jetzt noch so aus, als hätte er den Teufel persönlich erblickt." "Der falsche Mönch ist ein böser Geist", sagte Fontes, "und zwar ein sehr mächtiger. Ich wäre niemals von selbst darauf gekommen, aber der Hund hatte solche Angst. Hunde haben nicht viele Worte, um Beobachtungen euszudrücken, aber Illes Hund hat die ganze Zeit von einem bösen Feind gewinselt. Und weil er ausdrücklich böse meinte, habe ich nach Bösem gesucht. Der Geist muß sehr mächtig sein, denn ich habe trotz meiner Ausbildung seine Verkleidung nicht durchschaut. Aber von seinen Worten weht ein Hauch von Verwesung. Deshalb bin ich mir sicher". "Ich kann auch nicht viel mehr sagen", setzte Donisl fort. "Ich habe nur gespürt, wie der Kerl dauernd in meine Richtung prüfte, ob Magie angewandt wird. Und als ich diese schurkische Predigt hörte und Fontes Worte über das Trugbild, dachte ich, es ist höchste Zeit zu verschwinden." "Martina", griff ich ein, "es ist Dein Fach, was kannst Du sagen?" "Ich glaube, aber ich kann es nur vermuten", sagte Martina, "es ist eine perfekte Illusion. Denn die Lachfalten um die Augen des Mönchs waren eine Spur zu gleichmäßig, und der Fluß seiner Robe, wenn sie sich bewegte, war eine spur zu glatt. Aber ich habe schon nachgedacht. Ich gehe noch einmal in den Gastraum und prüfe es nach." "Nein", sagte ich. "Wenn es so ist, wie Fontes sagt, dann wird der Geist die kleinste Geste erkennen und auch den Ansatz eines Spruchs auf den Lippen." "Ich sagte doch, ich habe nachgedacht", beharrte Martina. "Ich werde keine Geste tun und keinen Spruch sprechen. In der Wüste ist es lebenswichtig zu unterscheiden, ob man einen Brunnen vor sich hat oder eine Luftspiegelung. Schon wenn die Kinder sprechen lernen, beginnen sie auch mit Übungen, Illusionen zu durchschauen. Ich kann mich allein mit geistigen Mitteln eine kleine Zeit in den Zustand eines Kindes zurückversetzen. Dann werde ich genug sehen. Aber irgendjemand Muß mitgehen und mich führen, denn meine Schritte werden unsicher sein." "Gut", willigte ich ein, als ich Martinas Entschlossenheit sah. "Der Barbar geht mit. Bei ihm kommt niemand auf die Idee, ihn mit Magie in Verbindung zu bringen. Euch ist gerade eingefallen, daß Ihr einen Krug Bier für den fleißigen Svenrho mitnehmen wolltet. Ihr geht gerade zum Schanktisch. Ebra hat inzwischen soviel gegen seine Bauchschmerzen getan, daß er nichts merken wird."
Martina hakte den Gurt ihres Krummschwerts los und gab ihn Loger. Dann stellte sie sich breitbeinig hin, drückte die Daumen gegen ihre Schläfen und begann, mit den Fingern die Stirn zu reiben. Dabei atmete sie kurz und heftig. Ihre Augen wurden größer, bis sie kaum noch in ihr Gesicht paßten. Martina ließ die Arme fallen und lachte uns kindlich an: "Ihr seid alles Gauner, große und kleine Gauner. Auch der kleine Fontes ist ein kleiner Gauner. Martina hat ein schönes Kettenhemd. Das Kettenhemd hat Papa geschenkt. Martina ist ein braves Mädchen." Trent d'Arby ergriff Martinas Arm: "Komm Martina, wir holen etwas zu trinken für den kleinen Svenrho. Der kleine Svenrho hat solchen Durst." Die beiden gingen zum Gasthaus zurück.
"Martina ist ein kleines Schlitzohr", sagte Donisl, "ein ungezogenes böses Mädchen. Habt Ihr es gemerkt? Als sie zu reden anfing, war sie noch ganz gut bei Verstand. Nur gut, daß sie in der Gefahr noch scherzen kann." Das Warten dauerte ewig. Dann kamen die beiden zurück. "Ich habe das halbe Bier verschüttet", sagte Trent d'Arby. "Als wir wieder draußen waren, wollte sie weglaufen." Martina setzte sich auf den Boden und weinte. "Böser Hund", schluchzte sie, "großer böser Hund". Donisl hockte sich hinter sie, schlug ihre Haare weg und begann, ihr den Nacken zu massieren. Martina verschluckte sich an ihren Tränen, hustete und war dann plötzlich wieder klar. "Ist es einer der Höllenhunde?" fragte Fontes. "Nein", sagte Martina, "ganz so schlimm ist es nicht. Er hat eine lange Schnauze, keine platte wie der Höllenhund, und er hat keine Pfoten, sondern Hände mit Krallen. Ich glaube, es ist ein Wolf." "War es nicht ein Fuchsgeist?" fragte Fontes nach. "Die kommen häufiger vor." "Nein", sagte Martina. "Der Fuchsgeist ist in den Büchern genau beschrieben. Dieser hier hatte längere Ohren, und unter der Robe schaute kein Fuchsschwanz hervor." "Nur ruhig", sagte ich. "Im schlimmsten Fall sind wir gemeinsam so stark, daß es sich der Wolf überlegen wird, ob er uns angreift. Aber er wird nicht angreifen, denn seine Rede war der erste Schritt in einem durchdachten Plan. Zeit hat er ja genug. Er wird weiterwandern und die Rassen langsam gegeneinander aufhetzen. Zum Krieg kommt es vielleicht erst nach Jahren, wenn jede Rasse überzeugt ist, die andere will ihr Gebiet erobern. Wir haben Zeit zum Nachdenken. Laßt uns hineingehen." "Bitte überlaßt es mir, Svenrho die Geschichte beizubringen", sagte Donisl. "Ich habe da so meine eigene Art. Holla Svenrho, mach die Tür auf!" "Ich höre Euch schon die ganze Zeit reden", rief Svenrho aus dem Turm. "Gibt es irgendetwas Neues?" "Es ist ein so schöner Abend", sagte Donisl. "Wir haben geplaudert. Und wir haben Dir einen Krug Bier mitgebracht." Svenrho schaute erfreut aus der Tür. "Donnerwetter", sagte Donisl, als wir drinnen waren. "Du warst aber fleißig!" An jedem Kasten, Kästchen und Fläschchen auf dem Regal war jetzt ein kleines Schild mit einer Inhaltsangabe in sauberer Handschrift. Svenrho zeigte mit dem Finger die Regale entlang: "Lezard war ein komischer kerl. Er hat einen guten Bestand, aber ein Viertel der Sachen ist nur für Liebestränke gut, ein anderes Viertel nur für Schutzzauber." "Lezard war hier sehr geachtet und beliebt", sagte Donisl. "Ich habe mich mit den Leuten im Wirtshaus unterhalten und herausgefunden, wie er es machte. Er sorgte einerseits dafür, daß die Leute ihn für ungeheuer mächtig hielten. Deshalb hatten sie höllischen Respekt vor ihm. Andererseits hat er es so gedreht, daß sie auch ein klein wenig über ihn lachen konnten, und deshalb konnten sie ihn lieben. Du solltest es genauso machen, und weil wir Deine Teilhaber sind und einen guten Verdienst erwarten, werden wir Dir dabei helfen. Such bitte die schönsten Eschenstäbe aus und leg ein sauberes Pentagramm auf den Tisch". Svenrho wählte gehorsam die Eschenstäbe aus und legte das Pentagramm. "So", sagte Donisl, "nun lege Deine linke Hand genau in die Mitte und halt still. Martina, sorge bitte für eine Verstärkung!" Martina stellte sich hinter Svenrho und legte ihm die kleinen Finger auf die Ohrläppchen. Dann begannen Donisl und Martina zu sprechen. Man hofft immer wieder, einen Zauberspruch bei seiner Ausübung vollständig mitzubekommen, aber immer ist es vergeblich. Von Martines Worten verstand ich nur ein wiederholtes "dreifach, dreifach", und Donisl sagte undeutlich etwas, das wie "heilige Glut" mit vielen sinnlosen Zusätzen klang. Die Eschenstäbe schienen zu schweben und lösten sich plötzlich in feinen weißen Rauch auf. "Ich glaube, das hat perfekt geklappt", sagte Donisl. "Nun geh mal einen Schritt zurück". Wir sahen auf den Tisch. Dort wo die Eschenstäbe gelegen hatten, war ein schwacher rötlicher Schein zu sehen. "Wenn ein Kunde hereinkommt, legst Du immer die Hand in das Pentagramm", sagte Donisl. "Probier es einmal aus". Svenrho trat wieder nach vorne und legte die linke Hand in das Pentagramm. Das Pentagramm erstrahlte in flüssigem Gold und Svenrho war von roten Flammen eingehüllt. Ein leichter Geruch nach Weihrauch breitete sich aus. "So kann ich doch keine Kunden empfangen", protestierte Svenrho. "Ich täte ja gerade so, als wäre jeder von ihnen ein Teufel. Da ist nur ein guter teurer Spruch verschwendet." "Es sieht aber toll aus", sagte der angehende kleine Gauner Fontes. "Ich bin einfach überwältigt." "Svenrho", sagte Martina. "Ich habe zu den anderen immer gesagt, Du hast ein frisches kluges Gesicht. Aber im Pentagramm siehst Du so schön aus, wie der Liebesgott persönlich, und so weise wie die alte Schildkröten. "Wirklich?" fragte Svenrho erfreut und legte erneut die Hand in das Pentagramm. Und wieder tanzten die heiligen Flammen. "Ganz bestimmt", sagte Martina. "Schluß jetzt", sagte Donisl. "Wir wenden uns von der Macht ab und kommen zu der liebenswerten Seite. Lezard galt als übervorsichtig, nachgerade ängstlich und diesen Eindruck wirst Du auch erwecken. Lezard hat heimlich, aber so, daß ihn jeder sah, einmal im Monat einen Schutzkreis um den Ort gelegt. Du wirst das ab Morgen jede Woche einmal tun. Die Leute werden lachen, aber irgendwie auch gerührt sein, daß Du Dich so um sie sorgst. Dich kostet es bei der Menge von Pulvern, die Lezard hinterlassen hat, gar nichts. Und Du kommst einmal in der Woche eine Stunde an die frische Luft. Ich weiß, daß junge Magier immer zu lange über den Büchern hocken. Und um den Turm legst Du jeden Abend einen Schutzkreis. Fang gleich damit an!" Svenrho seufzte, nahm eine Schachtel vom Regal und ging nach draußen.
Donisl ging das Regal auf und ab. Vor einem Schildchen "Verschiedens, morgen wegwerfen" blieb er stehen und nahm eine faustgroße Glaskugel von einem hölzernen Ständer. Er hielt die Kugel vor eine Kerzenflamme. "Lezerd steigt immer mehr in meiner Achtung. Ich glaube, er hat doch kein Pulver von zerriebenen Pilzen geschnupft." Wir steckten die Köpfe zusammen. In der Kugel schwebte inmitten von wolkigem Staub ein winziges Mäuslein. "Diese Kugeln fassen, wenn sie gut gearbeitet sind, etwa zehn Pfund. Wenn Lezard das Rezeptbuch benutzt hat, das ich meine, ist hier eine gut abgehangene vierpfündige Ratte inmitten von sechs Pfund Traumpulver. Der Gute hat etwas geahnt, und hat sich vorbereitet. Den Lehrbüchern nach ist es eine Falle für Fuchsgeister, aber vielleicht hilft sie bei überraschendem Einsatz auch gegen einen Wolf." Donisl schlug die Kugel in ein Stück Stoff und ließ sie in seinen unergründlichen Taschen verschwinden.
Svenrho kam wieder herein. "Na, hast Du den Kreis gestreut?" erkundigte sich Donisl. Svenrho nickte und ging, um die Schachtel mit dem Pulver wieder in das Regal zustellen. "Hat Dich jemand gesehen?" fragte Donisl weiter. "Ja", erwiderte Svenrho. "Ein Gelber Mönch ging vorbei und hat mir zugewinkt." "Und was hast Du getan, Svenrho?" "Ich habe zurückgewinkt ... ", .Svenrho hielt mitten im Satz inne und wurde rot. "Verzeihung, Meister. Das war ein dummer Anfängerfehler. Das ist mir seit Jahren nicht mehr passiert. Aber da es nur Schauspielerei ist, macht es nichts." "Svenrho", sagte Donisl streng. "Die Magie besteht zur Hälfte aus Schauspielerei, und gutes Schauspielern ist deshalb wichtig. Der Magier steht steht immer im Mittelpunkt des Interesses, gerade in so einer kleinen Gemeinde wie dieser hier. Wer weiß, wieviele Augen Dich aus der Dunkelheit beobachtet haben. Und jeder zweite hier meint, etwas von Magie zu verstehen. Viele Mütter legen Schutzkreise um die Wiegen ihrer Kinder, und jeder gute Jäger, der in die Wildnis zieht, kennt einen mehr oder weniger wirksamen Spruch zum Schutz seines Lagerfeuers. Wenn jemand gesehen hat, daß Du Dich in der Übung hast unterbrechen lassen, wird man über Dich lachen. Das darf nicht sein, denn wir wollen doch ordentlich verdienen. Also gehst Du wieder nach draußen, siehst Dich vorsichtig um, und legst einen zweiten inneren Kreis. Wer jetzt noch zuschaut, wird sich Gedanken machen und darauf kommen, daß Du von vornherein einen Kreis mit einer unauffälligen kleinen Fußangel anlegen wolltest. Deshalb hast Du zurückgewinkt. Man wird Dich für gerissen halten." Svenrho ging zur Tür. "Es war ein dummer Ausrutscher. Verlaß Dich darauf, das passiert mir so schnell nicht wieder."
Ille, Ebra und einige andere Bewohner des Hochtals winkten uns nach, als wir losritten. Illes Hund hüpfte, heute völlig frei und sorglos, vor uns her und scheuchte Vögel auf. Svenrho ging neben Donisls Stute und hörte sich letzte Ermahnungen über Preise, Rabatte für Stammkunden und kostenlose Zugaben an. Dann kehrten Svenrho und das Hundchen zurück, und wir waren wieder allein. Donisl erbot sich tapfer, als erster vorauszureiten, wenn nur der Barbar und ich dichtauf folgen würden, um ihn zu decken. Von der Paßhöhe aus hatten wir einen unendlich weiten Blick nach vorne. Nur lag zu dieser frühen Stunde Nebel im Tal, so daß wir den Lauf des Flusses nicht sehen konnten. Gut eine Stunde hinter dem Paß begann wieder ein dichter Wald. Der Weg wurde schmaler, verzweigte sich mehrfach, und schließlich war nur noch ein schmaler Pfad übrig, über den sich die Äste von Bäumen und Büschen reckten. Hier war offensichtlich die Grenze des bewohnten Landes. Donisl ritt nun schimpfend und fluchend weiter voraus und mußte sich alle paar Pferdelängen einmal bücken, um einem Ast auszuweichen. Schließlich hielt er seine Stute an und meinte, es sei völlig zwecklos, unter diesen Umständen auch nur zu versuchen, eine schwache magische Konzentration aufrechtzuerhalten. Jemand anders solle vorausreiten. Trent d'Arby übernahm die Spitze, drückte Äste beiseite, zerriß Lianen und wurde nach einiger Zeit so wütend, daß er sein Schwert zog und wie bei einem Marsch durch den Regenwald störende Zweige und Ranken wegschlug. Für den Südhang eines Gebirges wer der Wald auffallend feucht und verfilzt. An einigen Kiesplacken auf dem Boden, an quergelegten Bohlen und manchmal auch an einigen aus flachen Steinen gelegten Stufen merkten wir, daß wir immer noch dem Hauptweg folgten. Doch die Bohlen waren zerbrochen und verfault, und die Steinstufen waren dicht bemoost. Der Wald war unnatürlich still und das dichte Blätterdach machte die Luft stickig. Schließlich stiegen wir ab und führten die Pferde, die auf dem feuchten Untergrund immer in Gefahr waren, auszurutschen.
Ich ging jetzt voraus und benutzte die kurze Klinge meines Schwertes bei jedem dritten oder vierten Schritt wie ein Haumesser gegen das Unterholz. Auch ohne die unheimliche Begegnung gestern und auch ohne Illes Erzählungen konnte ich mir leicht vorstellen, daß die Einheimischen nur ungern auf die andere Seite des Passes gingen, und daß besonders ängstliche Gemüter in jeder Ranke, die sich in ihren Kleidern festhakte, die Klauen eines Dämons sahen. Nach einer knappen Stunde als erster Mann wollte ich.aufgeben, obwohl mein Arm es gewohnt ist, den schweren Hammer zu schwingen. Ich wollte gerade um Ablösung bitten, als wir unversehens das Ende des feuchten Waldes erreichten. Wir traten auf eine schmale gerölldurchsetzte Wiese, hinter der ein Abhang einige hundert Klafter tief nach unten fiel. Vor uns lag das unbekannte Tal des Strymon. Der Fluß zog sich in breiten Windungen, die in der Sonne glitzerten, durch das Land. Dort unten wechselten weite Grasflächen mit den Wäldern ab. Am klaren Himmel über uns zogen kleine zerfächerte Schönwetterwolken. Alle drängten aus dem feuchten Gehölz nach vorne, als ob sie die Lungen mit frischer Luft füllen wollten.
"Ein herzerfrischender Anblick" nicht war, meine Kinder?" ertönte plötzlich eine sanfte Stimme. Ich zuckte herum. Auf einer Steinplatte, keine sechs Schritte neben uns, stand der Gelbe Mönch und lächelte milde. "Kniet nieder, damit ich Euch und dieses schöne Tal segnen kann." Er hob die Arme. "Kniet nieder vor dem frommen Vater", rief Donisl überlaut und raffte seine Robe, um niederzuknien. Mit der selben Bewegung griff er in seine Tasche und warf die gläserne Kugel. Die Kugel zerplatzte auf dem Stein und ein durchdringender Geruch nach Verwesung und süßem Gift breitete sich aus. Die Augen des Mönchs quollen auf und aus seinem Mund troff Geifer. Er fiel auf Hände und Knie nieder biß in die verweste Ratte und schluckte krampfhaft. Die Ratte fiel zerrissen auseinander und der Mönch verwandelte sich.
Sein Kopf streckte sich in einen riesigen Wolfskopf und die gelbe Robe zerplatzte an den mächtigen Schultern. Der Wolf biß noch einmal zu und würgte. Dann hielt er inne, und ein furchtbares Gebrüll ließ die Luft erzittern. Vor uns stand ein Ungeheuer, größer als ein Pferd, und funkelte uns aus gelbgrünen Augen an.
"Du kläffst wie ein Schoßhund", schrie Donisl. "Kläff noch einmal, damit ich etwas zu lachen habe." Der Wolf duckte sich zum Sprung und brüllte wieder. Das letzte Pferd, Trent d'Arbys Hengst, riß sich vom Zügel und floh in den Wald. "Wenn ich richtig mitgezählt habe", höhnte Donisl, "hast Du schon viermal eingeatmet. Jetzt versuch mal einen kleinen Hüpfer."
Der Wolf klappte donnernd das Gebiß zu und kroch, eine Pfote vor die andere setzend, auf Donisl zu. "Ich heiße Kauz", schrie Donisl und verdoppelte sich. "Wir alle, die Dich besiegt haben, heißen Kauz, wie der kleine graue Vogel." Vier Donisls flatterten nun mit den Armen und hoben sich in die Luft. Der Wolf war aus dem Dunstkreis des Staubs heraus und holte röchelnd Luft. Seine klauenbewehrte Menschenhand schoß nach vorne und traf trotz der zweifachen Verspiegelung. Vier Magier wirbelten durch die Luft und ein Magier schlug schwer auf den Boden. Loger sprang mit erhobenem Schwert hinzu und ließ die Klinge herunterfahren. Es gab ein Geräusch, als wenn Glas auf Glas trifft. Die Klinge aus Busan zersprang in tausend Stücke. Der Wolf warf den Kopf herum und drängte Loger gegen den Abgrund.
"Erst ich, dann Du!" schrie ich dem Barbaren zu und ließ mein Schwert wirbeln. Ich traf den Wolfskopf in Augenhöhe und diesmal gab es einen Klang, als wenn Kiesel auf eine Stahlplatte fallen. Der Wolf schüttelte den Kopf. Das Schwert des Barbaren beschrieb einen blitzenden Bogen und trennte das Wolfshaupt vom Körper. Der Kopf rollte die Wiese herunter. Ich lief zwei Schritte nach und bei dem dritten Schritt spießte ich den Wolfskopf mit meinem Schwert durch die Schädelplatte in den Boden. Die Augen des Wolfs rollten und der Körper kroch unsicher auf seinen abgetrennten Kopf zu. Es gab einen zischenden Knall und Martina stand in Flammen gehüllt neben mir, die nackten Arme in den Himmel gestreckt. Ihre Flammen hüllten mich ein. "Ich banne Dich", sang sie und ich verstand deutlich jedes Wort. "Ich banne Dich aus dem Kreis des Lebens in den Kreis des Todes. Ich banne Dich aus der Wärme in die Kälte." Der Wolfskopf zuckte an meiner Klinge, die Kiefer öffneten sich und die gelbgrünen Augen glühten. Martinas Stimme klang nur noch undeutlich in meinem Kopf. Da schob sich eine Knabenhand mit einer Gebetskette umwickelt in die Flammen. Fontes stieß mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Nase des Wolfs und sagte langsam und klar: "Ich banne Dich". Der Dämon heulte. Das Fell fiel in Fetzen von dem Schädel, das Fleisch verschmorte und die Augen erloschen. Der Knochen löste sich auf. Um die Klinge meines Schwertes war ein kleiner Haufen weißen Staubs, der verging. Das Gras der Wiese war grün wie zuvor, und aus dem Wald hörten wir in der plötzlichen Stille zum ersten mal seit Stunden den Gesang von Vögeln. "Wir haben gesiegt", sagte Martina, "aber der Magier ist tot". "Keine Leichenreden", sagte Donisl und versuchte, sich auf die Arme zu stutzen. "Ich lasse meine Roben nur bei den besten Schneidern arbeiten".
Trent d'Arby und Loger halfen Donisl auf. "Ich habe es nicht ganz mitbekommen", sagte er, "aber der Wolf ist verschwunden." "Logers Schwerthieb hat ihn von Dir abgelenkt", berichtete Martina, "aber seine Klinge ist zersplittert. Dann hat Onkel Gregors Hieb ihn geblendet, und Trent hat seinen Kopf abgeschlagen. Onkel Gregor hat mit seinem Schwert den Kopf aufgespießt, und ich habe den großen Bannspruch gesungen. Das hat aber nicht geklappt, denn der Wolf war zu mächtig. Da hat ihn Fontes mit dem Finger der Götter zerstört." "Tausend Teufel!" sagte Donisl. "Fontes hat den göttlichen Finger. Du erlaubst, daß ich mich vor Dir verneige". "Hab ich nicht, kann ich nicht", knurrte Fontes. "Aber der Wolf hatte den ganzen Traumstaub geschluckt, konnte nicht mehr richtig sehen, und sein Kopf war ab. Und Martinas Spruch hat ihm bös zugesetzt. Da hab ich mir gedacht, ich kann ihn vielleicht vergraulen, so wie Ihr den rothaarigen Räuber vergrault habt. Du hast es selbst gesagt, Donisl, Frechheit siegt." "Fontes", sagte Donisl, "Ich verneige mich dreimal vor Dir. Du wirst einst der Abt Deines Ordens werden oder der größte Barde sein, den diese Welt je gekannt hat." Fontes brummte verlegen, zuckte die Schultern und ging in den Wald um die Pferde wieder einzusammeln.
Donisl schritt den Kampfplatz auf und ab und sah sich jedes Stück Boden genau an. "Onkel Gregor", fragte er, "war Deine Klinge immer schon schwarzgefärbt?" "Ja", sagte ich, "das ist so eine Marotte von mir. Die Klinge rostet dann nicht so schnell und der Feind kann ihre Länge schlechter abschätzen." "Nun ja", sagte Donisl, "das ist auch eine Erklärung." Bis auf die Stücke der zerbrochenen Klinge war keine Spur des Kampfes mehr zurückgeblieben. Hinter Donisl suchte auch Martina und fand nicht ein einziges Wolfshaar.
"Ich habe dem Wolfsgeist den Kopf abgeschlagen", sagte Trent d'Arby plötzlich, "das hat kein Krieger vor mir vollbracht." "Du hattest heute einen völlig ereignislosen Ritt", sagte Donisl, "sei klug und merk Dir das genau. Der Abt wird die Geschichte erfahren, das steht fest. Vielleicht hört auch der Fürst der Kalten Steine davon. Letztlich ist es möglich, daß irgendjemand meint, auch der gute König Henri müsse informiert werden. Aber sonst wird niemand auch nur ein einziges Wort hören." "Richtig", sagte Loger. "Die Gesellschaft der Schlange ist nicht an Märchen interessiert sondern nur an Tatsachen." "Denk nach", sagte Donisl. "Der Barbar, der den Ras getötet hat, ist ein Held. Ihm würde dreifacher Sold gezahlt werden, um ihn bei der Truppe zu haben. Wieviel Sold würde dem Kriegsmann gezahlt werden, der behauptet, einen Kampf mit dem Wolfsgeist überlebt zu haben?" "Ach so", sagte Trent d'Arby.
Fontes kam aus dem Wald und bemühte sich, Martinas kleinen Hengst von Trent d'Arbys Streitroß fernzuhalten. Die anderen Pferde folgten ihm. "Ein schöner Tag heute", sagte Fontes, "und ein freundliches Fleckchen Erde hier. Aber wir sollten jetzt weiter". "Ich verstehe", sagte Trent d'Arby.
[Vorheriges Kapitel][Nächsts Kapitel]