Am nächsten Morgen waren die beiden ein Herz und eine
Seele. Sie waren per Loger und Donisl und, was
vielleicht noch wichtiger war, per Dieb und Hexer.
Loger hatte den Furchtspruch fast vollständig im Griff
und hatte Donisl dazu noch gegen einen Versteckspruch
den Reinigungsspruch abgehandelt. Der Reinigungsspruch
hatte ihm am Herzen gelegen, weil er ihm als sehr
geeignet zum Verwischen von Spuren erschien.
Loger war heiter wegen des Erwerbs von neuem Wissen;
der Mönch war heiter, weil Frieden und Freundschaft
herrschten; Donisl war heiter, weil er von beiden wegen
seiner Kunst bewundert wurde. Seine Stimmung war so
gelockert, daß er mich beim Frühstück mehrfach mit
Onkel Gregor anredete, was Mönch und Dieb als ganz
natürlich empfanden, was aber in Wirklichkeit eine
kleine Frechheit war.
Aus seinen unergründlichen Taschen hatte er einen
grünen Tee von der Insel Tass hervorgeholt und zu
unserem Frühstück beigesteuert. Dieser Tee war so
stark, daß mir die Haare zu Berge standen. Er klärte
den übernächtigten Kopf des Diebes so weit, daß er, als
wir die Höhle verließen, dreimal fehlerfrei den
Reinigungsspruch hineinsprach. Danach war die Höhle
frei von jeglicher Spur unserer Übernachtung, und der
Boden bestand aus Silbersand. Dafür stank die ganze
Umgebung für den empfindsamen Menschen so nach Magie,
daß mancher Eingeweihte noch für Wochen einen Bogen um
das Wäldchen machen würde.
Fontes wurde durch den Tee angeregt, dem Magier seinen
Maulesel zu überlassen, ein gefügsames und kluges Tier,
wie er sagte. Er wollte sich auf unserem Weg nach Mar
sa La etwas Bewegung verschaffen, er habe sich bereits
zwei Tage zu sehr gehen lassen.
Und so trabte Fontes, mit der Hand an meinem
Steigbügel, leichtfüßig neben mir her, kam kaum außer
Atem, und hatte gelegentlich noch genug Luft, um mir zu
erzählen, wie schön der Tag sei. Bei unserem Abstieg
von der Paßhöhe erlebten wir den Werdegang des
Frühlings auf wenige Stunden zusammengerafft. Der Bach
neben unserem Weg war zuerst noch von dickem Schnee
bedeckt, der dem gestrigen Regen widerstanden hatte.
Etwas später war nur noch eine dünne Eisdecke da, dann
brach sich der Bach einen Weg durch das Eis und
plätscherte fröhlich neben uns her. Die ersten Blumen
tauchten auf, zarte weiße Blüten standen über dem
dunklen Boden.
Als wir mittags rasteten, sahen wir Knospen an den
Bäumen. Auf dem Hang uns gegenüber zog ein Bauer mit
seinem Pferd die ersten Furchen in den erwachenden
Ackerboden. Hier war die Erde schon von der Last des
Winters befreit. Donisl nahm mit geschlossenen Augen
ein erstes Sonnenbad, und Loger holte ein Stück des
verlorenen Nachtschlafs nach. Um die Mittagspause etwas
in die Länge zu ziehen, übte ich mit Fontes Knoten.
Am Nachmittag erreichten wir die Ebene vor Mar sa La.
Der Verkehr auf der Straße wurde lebhafter. Bauern und
Händler zogen neben uns her, und der Magier rief einer
jungen Frau auf einem Planwagen eine galante Bemerkung
zu, die dem Mönch das Blut in die Wangen trieb.
Die Stadtwachen am Tor sahen ihre Aufgabe lediglich
darin, den Verkehr zu regeln. Hier war jeder
willkommen, der kaufen oder verkaufen wollte. Ein
Bäuerlein, dessen zweirädriger Karren das Tor
versperrte, wurde angebrüllt, sich zu beeilen. Die
Gardisten griffen in die Räder und gaben dem
verschreckten Pferd einen kräftigen Klaps auf die
Hinterbacken, und schon war das Tor wieder frei. Hinter
dem Stadttor zerstreuten sich die Wagen und Leute
schnell. Wir ritten über einen Platz mit einem
Delphinbrunnen in der Mitte, als Loger fragte:
"Onkel Gregor, wo wollt Ihr einkehren?" Ich erwiderte:
"Das überlasse ich ganz Dir. Ich trete hier nicht auf.
Regle alles nach Deinem Ermessen".
Der Dieb dachte kurz nach und lenkte seine Stute nach
links. Wir folgten ihm durch zwei, drei Straßen und
ritten dann in den Hof einer mit quirlendem Leben
erfüllten Karawanserei gerade neben der Stadtmauer.
Leute aus allen Landstrichen und Nationen waren hier
versammelt. Menschen aus jedem Teil des Reichs und aus
den Herzogtümern lachten, schrien und feilschten.
Auf einer Seite des Hofes entlud eine Gruppe
muskelbepackter Halborks zusammen mit zwei ebenso
muskulösen Ostleuten einen Wagen. Auf der anderen Seite
drängte sich ein Trupp Zwerge um ihre kräftigen Ponies.
Ein schwarzer Elf schritt hochmütig vorbei, wobei er
durch Loger wie durch Luft hindurchsah.
Ich hätte nicht geglaubt, daß hier neben den zahllosen
Kamelen, Maultieren und bockenden Eseln noch Platz für
ein einziges Pferd sei. Aber der Dieb faßte einen der
herumlaufenden Bediensteten,
drückte ihm ein Geldstück in die Hand und flüsterte ihm
einige Worte zu. So bekamen wir wunderbarerweise in
einem überdachten Stall drei Boxen für unsere Tiere.
Ein Pferdeknecht tauchte auf, und auf einen Wink und
ein weiteres Geldstück begann er damit, die Pferde
abzusatteln. Wir schulterten unsere Deckenrollen und
gingen zum Schlafhaus. Dort verschaffte uns Loger als
Krönung seiner Leistungen ein sauberes Zimmer mit zwei
doppelstöckigen Betten.
Nachdem wir uns eingerichtet hatten, wollten wir in den
Gastraum.
An der Tür unseres Zimmers fragte der Magier, ob er
einen kleinen Spruch sprechen solle. Der Dieb
verneinte. Dies sei ein empfohlenes Haus, sagte er. Es
diene zum Austausch von Informationen und gelegentlich
auch zur schnellen Verteilung von Waren. Der Dieb, der
hier stehle, riskiere vielleicht zwei Finger,
wenigstens aber ein Ohr.
So gingen wir beruhigt nach unten. Der Gastraum war
groß und laut. Hier wurde gegessen und getrunken, hier
wurden große und kleine Handels- und Frachtgeschäfte
abgeschlossen.
Wir setzten uns an den Tisch eines jungen Barbaren mit
Wolfsfellweste und zahlreichen Bronzespangen über den
starken Armen. Der Barbar war froh über die
Gesellschaft und prostete uns mit seinem Bierkrug zu.
Als der Kellner kam, sagte ich, daß wir was das Essen
beträfe, Selbstversorger seien, und zahlte einen
Silbergroschen Tischgeld. Dann hob ich den noch immer
schweren Proviantsack auf den Tisch und lud den
Barbaren ein, mit uns zu essen. So war ich sicher, daß
nichts von den guten Sachen, die noch in dem Sack
waren, verderben würde. Bis auf den Mönch langten alle
kräftig zu.
Fontes war mit seiner Brot-Käse-Wasser-Diät schon lange
fertig, als die Tischgesellschaft erst die Hälfte ihrer
Aufgabe bewältigt hatte. In seiner mönchischen Einfalt
begann er mit Fingerspielen, die ihm seine Mutter zu
Hause bei Tisch sofort untersagt hätte.
Er holte ein Taschenmesser heraus, klappte es auf und
zu und wieder auf, und ließ es dann mit einem kleinen
Trick, der darin besteht, die Spitze rund zu schleifen,
auf seiner Handfläche tanzen. Der Barbar war so
begeistert, daß er sein Hühnerbein in der Mitte
durchbiß. Er ließ sich, auf beiden Backen kauend, den
Trick erklären und fragte den Mönch, ob er noch andere
so schöne Sachen kenne. Fontes nahm eine Kupfermünze,
ließ sie kreisen und hob sie mit der Messerklinge hoch.
Der Dieb, der jetzt auch gesättigt war, mischte sich
ein und zeigte mit einem Silberstück
Taschenspielertricks. Während es nun am oberen Ende
unseres Tisches immer lauter und lustiger zuging,
verfiel der Magier in Schweigen und nippte nur
gelegentlich an seinem Wein. Auch meine Gedanken
schweiften ab.
Diese Karawanserei war nach Logers Worten ein Ort, an
dem zahllose und manchmal auch nicht ganz einwandfreie
Waren den Besitzer wechselten. Hier wurden auch
Informationen gehandelt.
Hier war sicher auch ein guter Platz für unauffällige
Treffen,
denn bei der täglich wechselnden Schar von Gästen aller
Völker hätte kein Kellner am nächsten Morgen noch zu
sagen gewußt, welcher Reisende am Abend zuvor dagewesen
sein mochte.
Außerdem war der Lärm in dem Gastraum so groß, daß man
sich mit dem eigenen Tischnachbarn mit erhobener Stimme
unterhalten mußte. Ein Wort am Nebentisch hätte man nur
dann verstehen können, wenn es einem entweder gelungen
wäre, in sein eigenes Weinglas unauffällig einen Spruch
für scharfes Gehör zu murmeln, oder wenn man hätte
Lippen lesen können.
So steckten zwei Tische weiter ein rundlicher
Handelsherr und ein hagerer Karawanenführer die Köpfe
zusammen und unterhielten sich über bedeutende
Handelsgeheimnisse. Der Handelsherr schob dem
Karawanenführer am Ende des Gesprächs schnell eine etwa
handtellergroße Scheibe zu, stand auf und ging. Der
Dürre blieb sitzen und sah nach, ob der Dicke seinen
Krug Wein ganz ausgetrunken hatte. Zufrieden goß er
sich ein halbes Glas ein und trank. Nach einigen
Minuten stand er auf und wandte sich dem Ausgang zu.
In diesem Augenblick brach am Tisch der Halborks ein
Aufruhr los. "Du hast gemogelt, Du Sau!" brüllte einer
der Kerle und warf seinem Gegenüber den Würfelbecher
ins Gesicht. Dieser sprang auf und riß dabei den ganzen
Tisch um. Dann packte er die Bank, auf der er gesessen
hatte, und ließ sie kreisen. Wegen der plötzlichen
Veränderung des Mobiliars war aber keiner seiner
Kumpane mehr auf passender Höhe. Allein der
Karawanenführer blieb übrig, um den Schwung der Bank zu
unterbrechen. Der Ärmste wurde davongewirbelt und
landete auf dem Tisch einiger Fuhrleute, die dies als
Einladung betrachteten, sich an der beginnenden
Schlägerei zu beteiligen.
Die Sache hätte mit einer Festlichkeit mittlerer Größe
geendet, wenn wir uns nicht in einer Karawanserei
befunden hätten, in der aus verständlichen Gründen
Friedenspflicht herrscht.
Die meisten Gäste hielten sich zurück, und die Kellner
trennten in einem mutigen Einsatz die Streitenden. Zwei
ohnmächtige Gestalten, darunter der Dürre, wurden
davongetragen, und die vier Halborks, an deren Tisch
der Streit entstanden war, wurden an den Tresen
gedrängt. Die Sache wäre für sie sicherlich mit einem
kleinen Lohnabzug ausgegangen, wenn nicht einer dieser
Torfköpfe laut den Vorwurf des Falschspiels wiederholt
hätte.
Das war nun eine unangenehme Sache, über die der Herr
der Karawanserei nicht entscheiden konnte oder wollte,
und nach einigen Minuten erschienen zwei Wachen der
Stadtgarde. Sie fingen an, die Halborks zu befragen.
Dann rief einer der Gardisten, alles möge nach den
falschen Würfeln suchen, und die Hälfte der Gäste
begann, unter den Tischen herumzukriechen.
Von unserer Gesellschaft kroch nur das Mönchlein
begeistert auf dem Fußboden herum, auch wenn mir vorher
so gewesen war, als habe der Magier seinen zierlichen
Stiefel auf einen flachen Gegenstand gestellt, der
unter den Tisch gerollt war.
Für den Dieb wäre dieses Kriechen und Schubsen eine
wundervolle Gelegenheit gewesen. Er blieb aber ruhig
sitzen. In jedem Beruf gibt es Regeln, die an gewissen
Orten Selbstbeherrschung verlangen.
Schließlich wurden zwei der verdächtigen Würfel
gefunden. Die Gardisten führten die Halborks ab, die
diese Nacht nun in der Ausnüchterungszelle verbringen
würden. Nachher kam trotz Wiederherstellung des
Friedens im Gastraum keine richtige Stimmung mehr auf.
Das Erscheinen der Gardisten hatte die meisten Gäste
merklich gedämpft, und viele brachen auf. Morgen war
wieder ein harter Arbeitstag.
Auch wir zogen uns auf unser Zimmer zurück.
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