DRITTES KAPITEL

welches den Wert von Tischmanieren und den Unwert eines Spiels mit gezinkten Würfeln beleuchtet.

Am nächsten Morgen waren die beiden ein Herz und eine Seele. Sie waren per Loger und Donisl und, was vielleicht noch wichtiger war, per Dieb und Hexer. Loger hatte den Furchtspruch fast vollständig im Griff und hatte Donisl dazu noch gegen einen Versteckspruch den Reinigungsspruch abgehandelt. Der Reinigungsspruch hatte ihm am Herzen gelegen, weil er ihm als sehr geeignet zum Verwischen von Spuren erschien.
Loger war heiter wegen des Erwerbs von neuem Wissen; der Mönch war heiter, weil Frieden und Freundschaft herrschten; Donisl war heiter, weil er von beiden wegen seiner Kunst bewundert wurde. Seine Stimmung war so gelockert, daß er mich beim Frühstück mehrfach mit Onkel Gregor anredete, was Mönch und Dieb als ganz natürlich empfanden, was aber in Wirklichkeit eine kleine Frechheit war.
Aus seinen unergründlichen Taschen hatte er einen grünen Tee von der Insel Tass hervorgeholt und zu unserem Frühstück beigesteuert. Dieser Tee war so stark, daß mir die Haare zu Berge standen. Er klärte den übernächtigten Kopf des Diebes so weit, daß er, als wir die Höhle verließen, dreimal fehlerfrei den Reinigungsspruch hineinsprach. Danach war die Höhle frei von jeglicher Spur unserer Übernachtung, und der Boden bestand aus Silbersand. Dafür stank die ganze Umgebung für den empfindsamen Menschen so nach Magie, daß mancher Eingeweihte noch für Wochen einen Bogen um das Wäldchen machen würde.
Fontes wurde durch den Tee angeregt, dem Magier seinen Maulesel zu überlassen, ein gefügsames und kluges Tier, wie er sagte. Er wollte sich auf unserem Weg nach Mar sa La etwas Bewegung verschaffen, er habe sich bereits zwei Tage zu sehr gehen lassen.
Und so trabte Fontes, mit der Hand an meinem Steigbügel, leichtfüßig neben mir her, kam kaum außer Atem, und hatte gelegentlich noch genug Luft, um mir zu erzählen, wie schön der Tag sei. Bei unserem Abstieg von der Paßhöhe erlebten wir den Werdegang des Frühlings auf wenige Stunden zusammengerafft. Der Bach neben unserem Weg war zuerst noch von dickem Schnee bedeckt, der dem gestrigen Regen widerstanden hatte.
Etwas später war nur noch eine dünne Eisdecke da, dann brach sich der Bach einen Weg durch das Eis und plätscherte fröhlich neben uns her. Die ersten Blumen tauchten auf, zarte weiße Blüten standen über dem dunklen Boden.
Als wir mittags rasteten, sahen wir Knospen an den Bäumen. Auf dem Hang uns gegenüber zog ein Bauer mit seinem Pferd die ersten Furchen in den erwachenden Ackerboden. Hier war die Erde schon von der Last des Winters befreit. Donisl nahm mit geschlossenen Augen ein erstes Sonnenbad, und Loger holte ein Stück des verlorenen Nachtschlafs nach. Um die Mittagspause etwas in die Länge zu ziehen, übte ich mit Fontes Knoten. Am Nachmittag erreichten wir die Ebene vor Mar sa La. Der Verkehr auf der Straße wurde lebhafter. Bauern und Händler zogen neben uns her, und der Magier rief einer jungen Frau auf einem Planwagen eine galante Bemerkung zu, die dem Mönch das Blut in die Wangen trieb. Die Stadtwachen am Tor sahen ihre Aufgabe lediglich darin, den Verkehr zu regeln. Hier war jeder willkommen, der kaufen oder verkaufen wollte. Ein Bäuerlein, dessen zweirädriger Karren das Tor versperrte, wurde angebrüllt, sich zu beeilen. Die Gardisten griffen in die Räder und gaben dem verschreckten Pferd einen kräftigen Klaps auf die Hinterbacken, und schon war das Tor wieder frei. Hinter dem Stadttor zerstreuten sich die Wagen und Leute schnell. Wir ritten über einen Platz mit einem Delphinbrunnen in der Mitte, als Loger fragte:
"Onkel Gregor, wo wollt Ihr einkehren?" Ich erwiderte: "Das überlasse ich ganz Dir. Ich trete hier nicht auf. Regle alles nach Deinem Ermessen".
Der Dieb dachte kurz nach und lenkte seine Stute nach links. Wir folgten ihm durch zwei, drei Straßen und ritten dann in den Hof einer mit quirlendem Leben erfüllten Karawanserei gerade neben der Stadtmauer. Leute aus allen Landstrichen und Nationen waren hier versammelt. Menschen aus jedem Teil des Reichs und aus den Herzogtümern lachten, schrien und feilschten. Auf einer Seite des Hofes entlud eine Gruppe muskelbepackter Halborks zusammen mit zwei ebenso muskulösen Ostleuten einen Wagen. Auf der anderen Seite drängte sich ein Trupp Zwerge um ihre kräftigen Ponies. Ein schwarzer Elf schritt hochmütig vorbei, wobei er durch Loger wie durch Luft hindurchsah.
Ich hätte nicht geglaubt, daß hier neben den zahllosen Kamelen, Maultieren und bockenden Eseln noch Platz für ein einziges Pferd sei. Aber der Dieb faßte einen der herumlaufenden Bediensteten, drückte ihm ein Geldstück in die Hand und flüsterte ihm einige Worte zu. So bekamen wir wunderbarerweise in einem überdachten Stall drei Boxen für unsere Tiere. Ein Pferdeknecht tauchte auf, und auf einen Wink und ein weiteres Geldstück begann er damit, die Pferde abzusatteln. Wir schulterten unsere Deckenrollen und gingen zum Schlafhaus. Dort verschaffte uns Loger als Krönung seiner Leistungen ein sauberes Zimmer mit zwei doppelstöckigen Betten.
Nachdem wir uns eingerichtet hatten, wollten wir in den Gastraum.
An der Tür unseres Zimmers fragte der Magier, ob er einen kleinen Spruch sprechen solle. Der Dieb verneinte. Dies sei ein empfohlenes Haus, sagte er. Es diene zum Austausch von Informationen und gelegentlich auch zur schnellen Verteilung von Waren. Der Dieb, der hier stehle, riskiere vielleicht zwei Finger, wenigstens aber ein Ohr.
So gingen wir beruhigt nach unten. Der Gastraum war groß und laut. Hier wurde gegessen und getrunken, hier wurden große und kleine Handels- und Frachtgeschäfte abgeschlossen.
Wir setzten uns an den Tisch eines jungen Barbaren mit Wolfsfellweste und zahlreichen Bronzespangen über den starken Armen. Der Barbar war froh über die Gesellschaft und prostete uns mit seinem Bierkrug zu.

Als der Kellner kam, sagte ich, daß wir was das Essen beträfe, Selbstversorger seien, und zahlte einen Silbergroschen Tischgeld. Dann hob ich den noch immer schweren Proviantsack auf den Tisch und lud den Barbaren ein, mit uns zu essen. So war ich sicher, daß nichts von den guten Sachen, die noch in dem Sack waren, verderben würde. Bis auf den Mönch langten alle kräftig zu.
Fontes war mit seiner Brot-Käse-Wasser-Diät schon lange fertig, als die Tischgesellschaft erst die Hälfte ihrer Aufgabe bewältigt hatte. In seiner mönchischen Einfalt begann er mit Fingerspielen, die ihm seine Mutter zu Hause bei Tisch sofort untersagt hätte.
Er holte ein Taschenmesser heraus, klappte es auf und zu und wieder auf, und ließ es dann mit einem kleinen Trick, der darin besteht, die Spitze rund zu schleifen, auf seiner Handfläche tanzen. Der Barbar war so begeistert, daß er sein Hühnerbein in der Mitte durchbiß. Er ließ sich, auf beiden Backen kauend, den Trick erklären und fragte den Mönch, ob er noch andere so schöne Sachen kenne. Fontes nahm eine Kupfermünze, ließ sie kreisen und hob sie mit der Messerklinge hoch. Der Dieb, der jetzt auch gesättigt war, mischte sich ein und zeigte mit einem Silberstück Taschenspielertricks. Während es nun am oberen Ende unseres Tisches immer lauter und lustiger zuging, verfiel der Magier in Schweigen und nippte nur gelegentlich an seinem Wein. Auch meine Gedanken schweiften ab.
Diese Karawanserei war nach Logers Worten ein Ort, an dem zahllose und manchmal auch nicht ganz einwandfreie Waren den Besitzer wechselten. Hier wurden auch Informationen gehandelt.
Hier war sicher auch ein guter Platz für unauffällige Treffen, denn bei der täglich wechselnden Schar von Gästen aller Völker hätte kein Kellner am nächsten Morgen noch zu sagen gewußt, welcher Reisende am Abend zuvor dagewesen sein mochte.
Außerdem war der Lärm in dem Gastraum so groß, daß man sich mit dem eigenen Tischnachbarn mit erhobener Stimme unterhalten mußte. Ein Wort am Nebentisch hätte man nur dann verstehen können, wenn es einem entweder gelungen wäre, in sein eigenes Weinglas unauffällig einen Spruch für scharfes Gehör zu murmeln, oder wenn man hätte Lippen lesen können.
So steckten zwei Tische weiter ein rundlicher Handelsherr und ein hagerer Karawanenführer die Köpfe zusammen und unterhielten sich über bedeutende Handelsgeheimnisse. Der Handelsherr schob dem Karawanenführer am Ende des Gesprächs schnell eine etwa handtellergroße Scheibe zu, stand auf und ging. Der Dürre blieb sitzen und sah nach, ob der Dicke seinen Krug Wein ganz ausgetrunken hatte. Zufrieden goß er sich ein halbes Glas ein und trank. Nach einigen Minuten stand er auf und wandte sich dem Ausgang zu. In diesem Augenblick brach am Tisch der Halborks ein Aufruhr los. "Du hast gemogelt, Du Sau!" brüllte einer der Kerle und warf seinem Gegenüber den Würfelbecher ins Gesicht. Dieser sprang auf und riß dabei den ganzen Tisch um. Dann packte er die Bank, auf der er gesessen hatte, und ließ sie kreisen. Wegen der plötzlichen Veränderung des Mobiliars war aber keiner seiner Kumpane mehr auf passender Höhe. Allein der Karawanenführer blieb übrig, um den Schwung der Bank zu unterbrechen. Der Ärmste wurde davongewirbelt und landete auf dem Tisch einiger Fuhrleute, die dies als Einladung betrachteten, sich an der beginnenden Schlägerei zu beteiligen.
Die Sache hätte mit einer Festlichkeit mittlerer Größe geendet, wenn wir uns nicht in einer Karawanserei befunden hätten, in der aus verständlichen Gründen Friedenspflicht herrscht.
Die meisten Gäste hielten sich zurück, und die Kellner trennten in einem mutigen Einsatz die Streitenden. Zwei ohnmächtige Gestalten, darunter der Dürre, wurden davongetragen, und die vier Halborks, an deren Tisch der Streit entstanden war, wurden an den Tresen gedrängt. Die Sache wäre für sie sicherlich mit einem kleinen Lohnabzug ausgegangen, wenn nicht einer dieser Torfköpfe laut den Vorwurf des Falschspiels wiederholt hätte.
Das war nun eine unangenehme Sache, über die der Herr der Karawanserei nicht entscheiden konnte oder wollte, und nach einigen Minuten erschienen zwei Wachen der Stadtgarde. Sie fingen an, die Halborks zu befragen. Dann rief einer der Gardisten, alles möge nach den falschen Würfeln suchen, und die Hälfte der Gäste begann, unter den Tischen herumzukriechen.

Von unserer Gesellschaft kroch nur das Mönchlein begeistert auf dem Fußboden herum, auch wenn mir vorher so gewesen war, als habe der Magier seinen zierlichen Stiefel auf einen flachen Gegenstand gestellt, der unter den Tisch gerollt war.
Für den Dieb wäre dieses Kriechen und Schubsen eine wundervolle Gelegenheit gewesen. Er blieb aber ruhig sitzen. In jedem Beruf gibt es Regeln, die an gewissen Orten Selbstbeherrschung verlangen.
Schließlich wurden zwei der verdächtigen Würfel gefunden. Die Gardisten führten die Halborks ab, die diese Nacht nun in der Ausnüchterungszelle verbringen würden. Nachher kam trotz Wiederherstellung des Friedens im Gastraum keine richtige Stimmung mehr auf. Das Erscheinen der Gardisten hatte die meisten Gäste merklich gedämpft, und viele brachen auf. Morgen war wieder ein harter Arbeitstag.
Auch wir zogen uns auf unser Zimmer zurück.


[Vorheriger Kapitel][Nächsts Kapitel]


(c) 1993 Holger Provos