Loger vergrub den ausgesonderten Teil der Beute, auch
Kuriertasche und Papiere, weil er meinte, die beiden
Siegel seien nicht deutlich genug, daß das Kopieren
sich lohne. Als wir aufbrachen, war Raffaela in ihren
neuen Kleidern nicht gerade glücklich. Donisl tröstete
sie. Breite Schultern seien in Tass, Dodecka und Istria
der letzte Schrei. Ein Abnäher hier und dort würde der
Sache Schliff geben und die Figur betonen. Aber die
Hosen, die Hosen seien wirklich schrecklich. Nur
exzentrische Witwen würden es wagen, Hosen zu tragen.
Er selbst mißbillige diese Geschmacksverirrung sehr.
So war Raffaela bestens unterhalten, während wir das
Vorgebirge verließen und in die Steppe hineinritten. In
den ersten Stunden zogen wir an zwei einsamen Höfen
vorbei. Sie waren zu groß. Der dritte Hof war genau
richtig. Loger und ich ritten auf das Anwesen zu. Es
waren zwei Gebäude, ein Wohnhaus und ein Stall, darum
große Pferdegehege. Die hier gezüchteten Pferde machten
einen guten Eindruck. Der Bauer war schweigsam und
interessierte sich nur für unser Geld. Wir kauften ein
recht ordentliches Maultier, zwei Säcke Hafer, einen
Sack Hirse, Mehl, Hartbrot und Dörrfleisch.
Auch bat ich um zwei oder drei Decken, denn wir
wollten, wie ich dem Bauern sagte, die Berge
überqueren. Und in dieser Jahreszeit sei es noch recht
kalt. Der Bauer wollte uns zwölf Goldstücke abpressen,
aber ich handelte ihn auf acht Gold und sechs Silber
herunter.
Dann ritten wir in Richtung der Berge zurück, lasen
Raffaela und Donisl auf und machten außer Sichtweite
einen weiten Bogen in Richtung Wüste. Den ganzen Tag
blieben wir im Sattel, kauten gelegentlich Dörrfleisch
und tranken einen Schluck Wasser. Raffaela klagte nach
einiger Zeit über Schmerzen, aber Donisl meinte, eine
Dame spräche über so etwas nicht, und nach ein oder
zwei Tagen habe sie sich bestimmt eingeritten.
Am späten Nachmittag sagte Loger plötzlich, vor uns sei
jemand. Er hob sich in die Steigbügel und sah nach
vorne.
"Nur zwei Personen", berichtete er. "Wir umgehen sie",
entschied ich und lenkte meine Stute nach rechts.
Donisl und Raffaela folgten, Loger aber zögerte. Er
murrte, zwei zusätzliche Pferde seien ganz nützlich,
wir wären in der Überzahl, und wer weiß, was die
Leutchen alles bei sich trügen. Ich erklärte geduldig,
daß es jetzt das Wichtigste sei, nicht aufzufallen, und
Loger war enttäuscht.
Dann, gerade als ich böse werden wollte, warf Loger
sein Pferd herum, schrie "Juchhu" und galoppierte in
Richtung der beiden fernen Punkte los. Er stellte sich
dabei in die Steigbügel, brüllte weiter, und ließ
seinen Arm über dem Kopf kreisen, um ja nicht übersehen
zu werden.
Notgedrungen ritten wir anderen langsam hinter ihm her.
Als wir den Ort des Treffens erreichten, hatte Loger
schon seit einigen Minuten seinen Redefluß ungehemmt
plätschern lassen. Der Mönch Fontes war erschüttert und
murmelte ständig etwas von einem ungeheuerlichen
Verbrechen, wobei mir allerdings nicht ganz klar war,
welchen von den in den letzten Tagen so überreichlich
begangenen Gesetzesverstößen er meinte. Der Barbar aber
riß mit einer rasselnden Bewegung seinen Zweihänder aus
der Scheide und grölte: "Trent d'Arby steht zu Euren
Diensten, gnädiges Fräulein. Dieses Schwert wird Euch
beschützen, bis Ihr wieder sicher im Haus Eures Vaters
seid. Ich komme selbstverständlich mit und passe auf
Euch alle auf".
Nun, das war aber eine große Beruhigung. Raffaela
bedankte sich verwirrt, Fontes war entzückt, und Donisl
hatte Mühe, nicht laut herauszulachen. Auch Loger
grinste versteckt. Mein Kindergarten wuchs anscheinend
stündlich.
Ich war nicht unzufrieden. Ich hatte nur ungern daran
gedacht, den eleganten Magier eventuell elegant zu
verabschieden, und zusammen mit Loger in einem
Gewaltritt durch die Einöde das Mädchen auf einem
harten Weg zur Hauptstadt Ber Gama zu bringen. Allzu
kleine Gruppen gehen in diesem Teil der Welt leicht
verloren oder werden vom Ras gefressen.
Fontes nun würde auf der Reise nicht klagen und sich
zumindest bei der Zubereitung der Mahlzeiten als
nützlich erweisen. Und der Zweihänder des Barbaren
verstärkte unsere Gesellschaft bei einer Begegnung mit
anderen Reisegruppen, die vielleicht nicht so
friedfertig und gutgesinnt waren wie wir. Ich bat alle,
zusammen
zu treten, und fragte Fontes nach seinem Ziel.
"Es ist die Kapelle von Samdavjun. Einer der Weisen
meines Ordens, Franksi der Kleine, hat dort gelebt und
meditiert. In seinem Angedenken soll ich die Kapelle
reinigen und drei Tage dort beten. Samdavjun liegt nur
einen halben Tagesritt von der Herberge von Rok Had
entfernt", ergänzte er erklärend.
Die Herberge von Rok Had lag auf unserem Weg. Der
Perlenpfad führt in leichten Windungen nach Südosten
darauf zu und biegt dann an den letzten Ausläufern des
Kirpan-Gebirges wieder nach Norden in Richtung des
Herzens des Königreichs. Er würde jetzt kaum begangen
sein, und die Herberge von Rok Had war sicher noch
nicht bewirtschaftet. Der Perlenpfad hat seinen Namen
zwar davon, daß in Abständen von jeweils zwei
Tagesritten wie Perlen aneinander gereiht gute Brunnen
an seinem Weg liegen. Aber zwei Tagesabstände sind für
beladene Karawanen manchmal zu groß. So nehmen die
meisten Handelsleute den weiteren Kandarweg, der öfter
Grasland oder sogar kleine Oasen berührt und mehr
Sicherheit bietet.
"Wir nehmen den Perlenpfad", wandte ich mich an die
Gruppe. "Sitzt auf!"
Bis auf den Mönch griffen alle an die Zügel ihrer
Pferde und setzten den Fuß in den Steigbügel. Fontes
aber sah mich mit seinen großen Augen an und zupfte mit
den Fingern an seiner Kutte herum.
"Ich habe einen anderen Vorschlag, Onkel Gregor. Wir
sollten den Pfad der Steine gehen".
"Nun komm schon, Bruder Fontes!" Der Barbar ritt heran,
als wollte er den Mönch mit einem Arm vom Boden heben
und auf das Maultier setzen. Da holte Fontes aus dem
Ärmel seiner Kutte eines jener Wunder hervor, für die
sein Orden als Bewahrer des Wissens berühmt ist. Es war
eine auf hauchdünn gegerbtem Leder sorgfältig
gezeichnete Karte. Am nördlichen Rand lag Mar sa La,
dann zog sich das Kirpan-Gebirge wie ein gekrümmter
Finger in die Mitte der Zeichnung, und rund herum lag
die Wüste. Diejenigen, die schon aufgesessen waren,
saßen wieder ab und versammelten sich um Fontes, der
die Karte auf einem Sandfleck ausrollte.
Donisls Augen glitzerten. "Ich werde, wenn wir heil
davonkommen, Deine Oberen bitten, diese Karte
abzeichnen zu dürfen, und das bezahlen, was sie
fordern".
"Sie werden wahrscheinlich nur fordern, daß Du die
Karte noch zweimal für andere Brüder kopierst", meinte
Fontes und nahm einen Grashalm auf. "Aber täusche dich
nicht. Kopieren ist mühselig, und bis mein Abt die
Kopien mit seinem Ring bestätigt, hast Du krumme
Finger".
Mit dem Grashalm zeigte Fontes auf den Perlenpfad. Er
war so, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Jede Krümmung,
jeder Berg und jedes Tal waren eingetragen. Jeder
Brunnen war mit seinem Namen versehen und mit Angaben
über die Qualität und die zu erwartende Menge des
Wassers in jeder Jahreszeit. Soweit ich vergleichen
konnte, war die Karte zuverlässig.
Fontes zeigte mit seinem Grashalm auf einen braunen
Streifen. "Wir sind hier am Rand der Steppe. Hier
beginnt der Perlenpfad, ab hier der Weg der Steine".
Er deutete auf eine gepunktete Linie, weit kürzer und
gerader als der Perlenpfad. Sie führte zu den
Ausläufern des Kirpan-Gebirges. In beruhigend nahen
Abständen waren kleine blaue Kreise eingetragen.
"Nicht jeder Brunnen wird jetzt schon Wasser führen,
oder nicht genug für sechs Personen und sieben Tiere.
Aber das Wasserloch hier und die Brunnen hier und hier
sind sicher".
Ich hatte noch nie von dieser Abkürzung gehört, aber
ich war bereit, dem Mönch und den Kartographen seines
Ordens zu vertrauen.
Ich sah mich um und fand allseitige Zustimmung.
"Wir sind zu lange der breiten Straße gefolgt", sagte
Donisl. "Nun laßt uns den steinigen Pfad der Tugend
nehmen!"
Nach einer Stunde erreichten wir die Grenze des
Graslandes. Erst wuchs das Gras noch in vereinzelten
Flächen, dann wurde es spärlicher, und dort, wo sich
die letzten Halme durch den Boden brachen, begannen die
Steine. Bald setzten Pferde und Maultiere die Hufe
vorsichtig auf rutschendes Geröll. Doch dann wurde die
Farbe der Steine dunkler und ihr Zusammenhalt fester.
In gleichförmigen Wellen erstreckte sich vor uns ein
erstarrtes Land. Der Stein war so hart, daß die
beschlagenen Hufe keine Spur mehr hinterließen. Jeder
Stein glich in Größe und Form dem anderen, und jede
Bodenwelle war wie die, die wir gerade durchquert
hatten. Nach einiger Zeit ergriff mich seltsame Angst.
Hier würden wir uns unweigerlich verirren. Aber Fontes
ritt ohne Zögern voran, und als die Sonne unterging und
unsere Schatten länger wurden, meinte ich vor uns
schwach eine hauchfeine Linie zu erkennen, die durch
die Wüste gerade nach Südosten führte. Wir waren auf
dem Weg der Steine.
Wir entschlossen uns, bald nach Sonnenuntergang Halt zu
machen, und sattelten unsere Pferde in einer Senke ab.
"Wir brauchen die Pferde nicht anzukoppeln", sagte
Fontes. "Die dummen Tiere fürchten sich hier so, daß
sie dicht bei uns bleiben werden".
Fontes sprach beruhigend auf die Pferde ein. Aber nicht
nur die Tiere schienen sich zu fürchten. Zwar hatten
auch Loger und der Barbar die dünne Linie des Weges vor
uns erkannt, aber jeder spürte, daß ein Mensch hier
klein und verletzlich war. Fontes eilte geschäftig
zwischen uns herum, schlug vor, die Sättel als
Kopfkissen zu nehmen und sich für die Nacht dick in
Decken einzuwickeln, und verteilte Brot und
Dörrfleisch. Als er merkte, daß Raffaela kaum einen
Bissen herunter bekam, begann er von Franksi zu
erzählen, der so viele Jahre einsam hier verbracht
hatte.
Franksi der Kleine war, wie schon der Name verriet, ein
Wüstengnom gewesen, und wie viele seines Volkes ein
wunderbarer Illusionist. Mit seiner weichen Stimme, so
versicherte Fontes, hätte er nur für Raffaelas schöne
Augen einen tiefblauen See in die Senke hier
hereingesungen, mit grünen Ufern und silbern
klingelndem Schilf.
Raffaela wäre dann die Prinzessin der Oase in seidenen
Gewändern, die von ihrer Sänfte aus die beringten
Finger durch das Wasser gleiten lassen würde, während
am anderen Ufer weiße Reiher mit roten Beinen im
flachen Wasser nach Fischen suchten. Und bald schon
würde in einem goldenen Nachen ein schöner junger Prinz
herbeigerudert kommen, um Raffaelas Schönheit zu
bewundern.
Wahrhaftig, der Junge sollte doch lieber den Beruf
eines Barden ergreifen. Er hatte die Veranlagung dafür.
Trent, der Barbar, verdarb das schöne Bild und fragte
grob, was
Franksi der Kleine denn so großes geleistet habe, daß
der graue Orden noch lange nach seinem Tod seiner
gedenke.
"Wir trauern um Franksi", sagte Fontes mit einer seinem
Alter unüblichen Weisheit, "weil seine Illusionen schön
waren. Sie waren so schön, daß Franksi und viele andere
meinten, erst die Illusion mache das Leben lebenswert.
Dann aber lebte Franksi die letzte Spanne seines Lebens
in dieser Wüste. Er hinterließ uns, es gäbe hier so
viel wahre Schönheit, daß er der Illusion nicht mehr
bedürfe".
Mit diesen Worten getröstet gingen wir zur Ruhe und
spürten unter unseren müden Rücken jeden einzelnen
Stein in seiner schmerzhaften Realität.
Am nächsten Morgen überzeugte uns Fontes, die Zeiten
der Völlerei und der Bequemlichkeit seien jetzt vorbei.
Er teilte jedem für den Tag einen Kanten Brot und ein
Stück Dörrfleisch zu und sagte, bis zum nächsten
Brunnen gäbe es keine Rast. Wir würden zwei Stunden
reiten und eine Stunde gehen und so weiter. Nach zwei
Stunden Reiten sei das Gehen für die Pferde eine
Erholung, und nach einer Stunde Gehen für uns das
Reiten wieder eine Erleichterung.
Als erfahrener Wüstenwanderer belehrte er den Dieb und
den Barbaren, man solle mit den Augen der schwachen
Linie des Wegs bis zum Himmel folgen. Dort solle man
eine markante Wolke ausmachen und auf diese zureiten.
Wenn die Wolke sich zerstreute, müsse man wieder die
Linie des Weges finden und dann eine neue Wolke.
Ich wies Raffaela ergänzend darauf hin, daß eine
Reitschulhaltung einem Wüstenritt nicht angemessen sei.
Sie dürfe es sich auf dem Sattel bequem machen und die
Schultern hängen lassen. Beim Gehen aber sollte sie
sich gerade halten, die Hüften nach vorn und den Kopf
frei. Ein aufrechter Gang hebe die Moral.
So zogen wir in einer langen Linie über den Weg der
Steine. Fontes hatte das zweite Maultier mit einem
langen Seil an sein Tier gebunden und eilte munter
voran. Wir fraßen die Meilen zwar nicht, aber wir kamen
gut vorwärts. Bald merkten wir, daß wir nicht völlig
allein waren. Hoch über uns zog ein Adlerpärchen seine
Kreise, und ab und zu wurde eine Springmaus von den
Hufen unserer Pferde aufgeschreckt und floh hinter die
nächste Kuppe.
Als wir am Abend das Wasserloch Hamdi erreichten,
wurden wir für die Mühen des Tages reich belohnt. Am
Brunnen stand eine Herde der sagenhaften Wüstenböcke,
die kaum ein Mensch in unseren Tagen noch zu sehen
bekommt. Die Orix, mindestens fünfzehn Tiere, drängten
sich nicht, als sie mit edler Rücksichtnahme eines nach
dem anderen an das Wasserloch traten. Die langen Ohren
spielten, und das silbergraue Fell glänzte in der
Abendsonne. Es glänzten auch die speerspitzen Hörner,
als die Tiere das Maul zum Wasser neigten.
Dieses mörderische Gehörn war der Grund, daß der Jäger
den Orix fürchtete, und daß selbst der Ras es nicht
wagte, eine Herde der Orix anzugreifen.
Auf dem Kamm einer Steinwoge über dem Wasserloch stand
das Leittier. Ein prächtiger Bock mit stählernen
Muskeln und langem Gehörn. Das Tier sah uns entgegen
und seine Ohren zuckten. Ein Vorderhuf schlug nervös
gegen das Gestein.
Fontes sprang von seinem Maultier und lief dem Orix
entgegen. Das mächtige Tier senkte den Kopf und schritt
auf Fontes zu. Trent d'Arby griff zu seinem Schwert,
aber ich legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm.
Fontes hing nun in seliger Verzückung am Hals des
Leittiers, und dieses knabberte an seinen Ohren. Nach
einer langen Umarmung nahm Fontes die Arme herunter,
und der Bock warf seinen Kopf zurück. Auf dieses Signal
sprang die Herde davon. Der Bock schnaubte und setzte
in langen Sprüngen hinterher. Silbergraue Blitze
zuckten über dunkles Gestein, und dann war die
Erscheinung vorbei.
Ein glücklicher Fontes rutschte uns über rollende
Steine entgegen.
"Alles in Ordnung", strahlte er, "das Wasser ist süß
und reichlich, und weit und breit gibt es keine anderen
Leute außer uns".
Es wurde ein fröhliches Lager, trotz der harten Steine.
Pferde und Maultiere soffen sich kugelrund, und wir
füllten unsere Flaschen.
Fontes sang bei der Arbeit und wurde von Raffaela so
offensichtlich bewundert, daß er um zehn Zentimeter
wuchs. Sprechen mit Tieren sei ganz einfach, sagte er.
Man müsse nur die richtige Einstellung dazu haben.
Donisl flüsterte hämisch, es käme tatsächlich auf die
richtige Geistesverfassung an. Fontes besäße genügend
Einfalt,um sich selbst mit hirnlosen Wesen blendend zu
unterhalten. Gleich und Gleich verstünde sich eben.
Aber niemand hörte auf ihn.
Die Nächte einer Karawane leben von den am Lagerplatz
erzählten Geschichten, und diesen Abend berichtete uns
ein einfältiger Mönch von den Freuden eines Maultiers,
das seinen Kopf in den Futtersack steckt, und von dem
gefährlichen Leben des freien Orix in den endlosen
Weiten des Steinmeers.
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