ACHTES KAPITEL

das die Richtung unserer Reise ändert. Wir werden einer Hoheit vorgestellt. Fontes benimmt sich ungezwungen.

Als die ersten Springmäuse im Sand raschelten, war Fontes wieder der alte. Er kroch aus seiner Decke wie ein Schmetterling aus der Puppe und war in so gnädiger Stimmung, daß er uns mitteilte, heute müsse der Tag mit einem Feuerchen und einem heißen Tee beginnen, dem grünen Tee, mit dem Donisl uns schon einmal erfreut habe. Donisl griff in seine Robe und warf Fontes das Päckchen zu.

Während der Frühstücksvorbereitungen nahm ich Donisl beiseite. "Freundchen, sie werden Dich aus Deiner Schule ausschließen, wenn man dort erfährt, daß Du diesen Spruch kennst, und vor allem, wenn bekannt wird, daß Du ihn gesprochen hast, ohne zuvor sehr viel Gold zu kassieren".
Donisl zuckte die Schultern.
"Ich glaube nicht, daß es bekannt werden wird. Außerdem bin ich mir absolut sicher, daß ich nach diesem kleinen Unternehmen sehr viel reicher sein werde, als je zuvor".
Dann ging er zu den anderen zurück, wo ein kleines Feuer aus unserem spärlichen Holzvorrat flackerte. Raffaela half dem Gnom beim Frühstück und reichte ihm ab und zu die Schale mit dampfendem Tee.
Der Gnom blickte dem Magier fest in die Augen. "Ich bin Rasdi von den kalten Steinen. Ich danke Euch, Magier". "Kauz heiße ich, Donisl Kauz, verdammt noch mal. Ihr könnt Euch bedanken soviel Ihr wollt, aber Ihr seid noch nicht über den Berg. Wenn Ihr nicht binnen drei Tagen in den Händen eines wirklichen Heilers seid, wird Eure Hüfte ewig steif bleiben, und Euer rechtes Bein wird verkümmern".
"Einen Tagesritt nach Osten liegt mein Lager", sagte der Gnom. "Dort sind Freunde, die auch Rennkamele mit sich führen. Aber es gibt keinen markierten Weg dorthin. Könnt Ihr nur nach der Sonne nach Nordosten und dann nach Osten reiten?"
"Wir können es bestimmt", nickte Donisl. "Das Problem ist nur, ob Ihr einen Tagesritt durchhaltet, Rasdi". Fontes dachte nach.
"Gebt mir ein Friedenszeichen. Ich werde zu Euren Leuten vorauslaufen. Die anderen kommen langsam nach, und ich eile mit Hilfe entgegen".
Ich stand auf. "Nein, wir werden zusammen bleiben. Wer weiß, was außer dem Ras sonst noch zwischen den Felsen schleicht".
Wir beschlossen, Rasdis Pferd liegen zu lassen und das, was von seiner und des Pferdes Rüstung noch brauchbar war, zu verstecken. Loger besorgte dies meisterlich und meinte dann, er habe das Gehirn eines Eichhörnchens und deshalb soeben das Versteck vergessen.
Trent nahm Rasdis leicht gekrümmtes Schwert und steckte es wie einen Dolch in seinen Gürtel. Er versicherte dem Gnom, er werde es ihm zuwerfen, wenn Gefahr drohe. Loger band den Bogen und den Köcher des Gnoms an den Sattel des Maultiers, das er nun ritt, und Rasdi saß auf Fontes' Maultier auf. Wir deckten den Brunnen sorgfältig ab und brachen auf.
Fontes lief eine Weile neben seinem Maulesel her und redete auf das Tier ein, die Hufe ganz vorsichtig zu setzen, es trage einen kranken Mann. Fontes Maultier hatte das schnell begriffen. Es hatte solch eine Situation wohl nicht zum ersten Mal zu bewältigen. Fontes fiel etwas zurück, bis er in meiner Höhe war, und griff nach meinem Steigbügel. Etwa eine Stunde ritten wir genau nach Nordosten, bis Rasdi eine winzige Kleinigkeit nach Osten abwich.
Ich bemerkte, daß wir einer kaum wahrnehmbaren Spur durch den Sand folgten. Wir waren auf einem Weg, der nicht einmal auf Fontes Karte eingetragen war. Nach einer weiteren Stunde hielt Rasdi das geliehene Maultier an und sagte, der Ritt bereite ihm Schwierigkeiten. Er wolle versuchen, eine Strecke zu gehen. Mönch und Magier blickten sich besorgt an, aber dann nickten beide.
Rasdi stieg ab und ging voraus. Nach einer halben Stunde wurde er langsamer und blieb stehen.
"Ich bin schwach wie ein Kind. Ich werde wieder aufsitzen".
Der Barbar schob seinen Hengst nach vorne: "Sitz bei mir auf, Kamerad. Ich werde Dich halten, und Du wirst garnicht spüren, wie die Meilen fliegen".
Das war ein guter Einfall. Trent d'Arby hatte in seinem Söldnerleben anscheinend nicht nur glorreiche Attacken mitgeritten, sondern vielleicht auch den einen oder anderen ebenso heldenhaften Rückzug. Trent hielt die Zügel mit der einen Hand und schlang seinen anderen Arm um die Hüfte des Gnoms. Der Riese hielt ein Kind. Der Gnom stützte sich auf Trents Arm und konnte so den Stoß der Pferdehufe abfangen.
Obwohl die roten Felsen neben unserem Weg allmählich kleiner wurden, liefen wir dann nach einigen Stunden in einen Hinterhalt, so wie ihn Loger und Trent gestern so sorgfältig ausgemalt hatten. Um einen Felsen ritten in ruhigem Schritt drei gepanzerte Gnome. Der schwarze Helm des Anführers trug einen roten Federbusch und war von feinen Goldfäden durchzogen. Darunter stachen hellblaue Augen über einem Gesichtsschleier aus dunkelblauer Seide hervor.
Auch die runde Brustplatte des Reiters zeigte feinste Goldtausia. Den kurzen Speer hielt der Mann wurfbereit an die Hüfte gesetzt. Links und rechts von uns ritten zwischen den Felsen weitere Gnome schweigend heran. Ich wandte mich um. Auch hinter uns waren Reiter auf kleinen gepanzerten Pferden.
Ich hob die rechte Hand. Loger und der Magier wichen jeder nach seiner Seite aus, während die anderen anhielten.
Der Anführer hob leicht seinen Speer. "Halt! Ihr habt einen Mann meines Volkes gefangen. Laßt ihn absitzen. Er soll auf mich zugehen".
"Shandri!" rief unser Gnom, "so ist es nicht. Diese Menschen haben mich von der ersten Sprosse der Himmelsleiter zurückgeholt. Der Ras hatte mich schon zur Hälfte gefressen, als sie mich gerettet haben".
Der Anführer ritt hochmütig heran und an mir vorbei, so als wäre der Hammer unter meinem Rock nicht schon seit Minuten begierig, ihn zu zerstampfen.
Er saß ab und hockte sich ungerührt mitten unter uns auf den Boden. Rasdi glitt am Arm des Barbaren vom Pferd und setzte sich gleichfalls. Die beiden sprachen in einem unverständlichen Dialekt. Donisl kniff die Augen forschend zusammen, schüttelte aber dann den Kopf.
Nach einiger Zeit war wohl alles gesagt. Der Anführer stand auf. Er nahm seinen Schleier ab, und wir sahen in ein hartes Gesicht mit kurzem blonden Bart. "In bin Shandri. Ich befehle über fünfhundert Reiter. Ich spreche jetzt nur für mich und meine Familie. Ich danke Euch, daß Ihr meinen Verwandten Rasdi gerettet habt. Ich habe in meinem Lager schnelle Kamele, die ihn rechtzeitig zu einem Heiler bringen werden. Aber Ihr seid in einem Gebiet, das verboten ist, und habt einen Weg gesehen, den Ihr nicht hättet sehen dürfen. Darüber kann nur der Fürst entscheiden".
Fontes protestierte: "Wir haben eine andere dringende Aufgabe. Wir sind in Eile!"
Der Magier zuckte die Schultern. "Wenn ein Fürst ruft, gibt es keine andere Eile, als seinem Ruf zu folgen".

Rasdi war fortgeschafft, nachdem er uns noch bedauernd zugewinkt hatte, und wir ritten in einem schnellen Trab zwischen den Gnomen. Shandri entschuldigte sich dafür, daß er uns keinen weiten Blick erlauben dürfe. Tatsächlich war unsere Sichtweite auf diesem Ritt auf etwa dreihundert Meter beschränkt, und der Himmel erschien so dunstig, daß wir den Stand der Sonne nicht bestimmen konnten.
Falls Fontes die Illusion durchschaute, sagte er jedenfalls nichts davon. Als es eigentlich Nacht werden sollte, beschien ein seltsames gelbes Licht unseren Weg.
"Nehmt Rücksicht auf die Frau", sagte ich später zu Shandri. Shandri nickte und ließ anhalten. Wir kauten Dörrfleisch und tranken kaltes Wasser. Der heiße Tee von heute Morgen lag schon Jahre zurück. Loger rutschte an mich heran. Er deutete mit einem schnellen Blick auf Shandri: "Er trägt in seinem Beutel etwa dreihundert, und der Griff seines Dolchs ist aus grünem Edelstein. Ich schätze fünfhundert ohne den Wert der Scheide". Obwohl Loger kaum die Lippen bewegt hatte, schlenderte Shandri heran. Er zog den Dolch aus dem Gürtel und warf ihn Loger in den Schoß. "Schau ihn Dir genau an. Ein Erbstück von meinem Vorurgroßvater. Ohne Scheide mindestens achthundertfünfzig". Loger blickte auf den Dolch und reichte ihn dann zurück. "Du hast Recht, mindestens achthundertfünfzig. Wir sollten jetzt versuchen etwas zu schlafen".
Nach etwas mehr als zwei Stunden mußten wir weiterreiten. Zumindest auf diesem Ritt kam jeder von uns zu der inneren Einkehr und der Klarheit der Gedanken, von der wir am Rande der Wüste gesprochen hatten. Wenn einer von uns im Sattel einzuschlafen drohte, ritt ein freundlicher Gnom heran, und eine kleine harte Hand klopfte dem Betreffenden auf die Schulter, begleitet von aufmunternden Worten. Ich war sicher, die Kerle würden uns die Beine unter dem Sattel zusammen binden, falls irgendjemand ernsthaft schlappmachen sollte.
Die Zeit verging nicht mehr, nur die Farben änderten sich. Das unnatürliche Gelb wurde erst fahler, dann wieder heller. Irgendwann erschien es als kräftiges Rot und verwandelte sich dann in den natürlichen Schein der goldenen Sonne. Fontes richtete sich im Sattel auf und krächzte: "Schaut nach vorne, wir sind da!"
Vor uns lag eine Burg. Aus ihrer Mitte erhob sich ein großer runder Turm, der vom Fuß bis zur Spitze mit weißen und goldenen Mosaiken verziert in der Sonne schimmerte. Die Burganlage war ein langgezogenes Rechteck, unten aus großen Blöcken fahlen Sandsteins, ohne Öffnung oder Schießscharten, im oberen Drittel von zahllosen weißgerahmten Fenstern durchbrochen. Jedes zeigte eine andere Form und eine andere Verzierung. Die meisten Fenster hatten geschnitzte Holzläden, einige waren aber auch mit einem Gitterwerk aus zierlichen Ziegeln versehen, und auch hier hatte jedes Gitter eine neue Form und einen neuen Einfall.

Um den oberen Rand der Burgmauer zog sich wiederum in weißer Farbe ein Fries mit ständig wechselnden Mustern. Die Burg, obwohl solide und sicher gut zu verteidigen, machte insgesamt einen freundlichen Eindruck. Ob man uns allerdings freundlich empfangen würde, war eine noch nicht beantwortete Frage.
Shandri hatte die verhüllende Illusion erst unmittelbar vor den Mauern aufgehoben, und wir ritten jetzt schon durch einen Wirrwarr von Zelten, Kamelen und Pferden. Überall standen Gnome, Männer, Frauen und Kinder. Alle sahen aufmerksam zu uns herüber, aber keiner rief ein Willkommen, und nicht einmal die kleinen Kinder winkten.
Shandris Männer nahmen uns in die Mitte, als ob sie uns vor ihrem Volk schützen müßten, und so ritten wir durch ein spitzbogiges Tor. Dahinter wurden wir von Bewaffneten erwartet. Auf beiden Seiten des Torweges hielten gepanzerte Reiter lange Lanzen in der Hand. Dahinter erhob sich eine Reihe von Kamelreitern, die statt der Lanzen Bündel kleiner Wurfspeere trugen.

Alle hatten die blauen Schleier tief vor das Gesicht gezogen. Wie durch einen Trichter wurden wir auf einen Kuppelbau hingeführt. Vor dem Eingang dieses Gebäudes standen drei Würdenträger mit langen roten Gewändern. Links und rechts von ihnen stemmte je ein plattengepanzerter Gnom seine Füße in den Boden und hielt in Eisenhandschuhen starke Hundeketten, an denen jeweils fünf große wollige schwarze Hunde mit langen Reißzähnen zerrten und knurrten.
Ich bemerkte, daß der Abstand zwischen den beiden gerade so groß war, daß ein Fußgänger eben hindurch konnte, wenn die Eisenmänner die Hundeketten straff gespannt hielten.
Der mittlere Würdenträger trat einen Schritt vor und hob die Hand. Genau diesen feierlichen Augenblick wählte Fontes, um von seinem Maultier zu rutschen und laut jaulend zwischen die Hunde zu laufen. Ein ohrenbetäubendes Heulen antwortete, und die Hundeführer wurden im selben Augenblick nach vorne gerissen. Eine Staubwolke erhob sich, und Fontes graue Kutte verschwand zwischen wirbelnden Hundeleibern.
Es jaulte und kläffte, daß die Burgmauern widerhallten. Einer der Reiter neben mir begann hemmungslos zu lachen und verstummte dann jäh unter Shandris eisigem Blick. Zehn Hundeschwänze wedelten, und jedes Tier drängte und schob, um Fontes auch von der letzten Spur des Reisestaubs sauber zu lecken.
Ich saß ab und zog Fontes aus der Meute heraus. Die Hunde hüpften jetzt begeistert an ihm hoch. Dann aber sammelten die erbosten Hundeführer die Ketten auf und zogen. Die Hunde winselten enttäuscht . Ich schob Fontes nach hinten in die Hände des Barbaren und wandte mich an den mittleren Würdenträger.
"Es kommt darauf an, die Wechselfälle des Lebens mit Fassung zu ertragen". "Der Fürst erwartet Euch! " antwortete er grimmig und wandte sich um. Wir folgten durch das Tor der Kuppel, und Trent d'Arby hielt Fontes mit eisernem Griff am Arm.
So gelangten wir ohne weitere Zwischenfälle durch einen breiten Gang in einen weiten weißgetünchten Saal . Auf einem flachgemauerten Podest in der Mitte des Raumes saß auf einem einfachen dunkelroten Teppich ein sehr alter Gnom. Er war unverschleiert . Unter kurzgeschorenem weißen Haar blickten uns fahlblaue Augen an. Es war unzweifelhaft der Fürst . Unsere Begleiter hielten in einem respektvollen Abstand an. Der Fürst trug eine schlichte Kutte aus sandgelb gegerbtem Leder. In der Hand hielt er einen faustgroßen runden Kristall.
"Die Männer sollen niederknien. Kniet nieder vor Fürst Tiedgi, dem Herrn der Kalten Steine" . Wir ließen uns auf die Knie nieder. Der Fürst sah uns nicht an, sondern blickte auf den Kristall in seiner Handfläche. "Willkommen, Tochter des Kommer", sagte eine erstaunlich kräftige Stimme. "Ihr erweist meinem Haus durch Euren Besuch eine große Ehre. Eure Anwesenheit ist eine Freude".Dann nahm der Fürst seine Augen vom Kristall, und erst jetzt blickte er Raffaela an. "Doch Eure Begleitung verwundert mich. Der Hundefreund und der Barbar mögen noch angehen. Aber ich sehe auch Loger Schwarzhand, einen gemeinen Dieb, Dionisius von Kalithera, einen windigen Hexer, und Gregor, den Hammer, einen . . . . ".
Ich unterbrach: "Gregor der Schmied, Euer Gnaden, ein harmloser Gastwirt aus Lahee".
"Unverschämtheit !" schrie der Greis, und hinter mir hörte ich das scharrende Geräusch von Schwertern, die aus der Scheide gezogen wurden. "Wo ist Euer Gastgeschenk?".
Ich stand auf. Wir hatten nur einen Gegenstand bei uns, der als Gastgeschenk für einen Fürsten geeignet war. Ich zog dem Barbaren ein Bündel aus dem Gürtel und ging zu dem Podest . Vor dem Gnom entrollte ich das blutige Tuch mit den Zähnen des Ras.
"Der König der Wüste grüßt Tiedgi, den Herrn der Kalten Steine!". Der Fürst sah lange auf das blutige Tuch. Dann legte er den Kristall beiseite und sein Gesicht zersprang in kleine Falten: "Kinder, Ihr habt mir eine große Freude gemacht. Dies ist ein wahrhaft königliches Geschenk!".
Er winkte Shandri heran, der das blutige Tuch wieder einrollte und die Zähne wegtrug. "Bringt mir eine Schale Wasser!" Eilig wurde eine flache Schale vor den Fürsten gestellt: "Wir feiern ein Fest. Wir feiern den Sieg über den König der Wüste, und wir feiern Rasdis Rettung."
Die Hände des Gnoms fuhren durch das Wasser und kamen mit perlenden Tropfen wieder heraus . "Fräulein Kommer und der Hundefreund sollen sich neben mich setzen", rief er, als er die Wassertropfen von den Händen schüttelte. Aus den Tropfen entstanden Seidenteppiche und Seidenkissen. Raffaelas schmutzige Kleider verwandelten sich in festliche Roben, und Fontes graue Kutte schimmerte in dunklem Silber. Musik erklang, und die vorher weiß getünchten Wände schimmerten in allen Farben des Marmors.
Ein in Brokat gekleideter Shandri setzte sich neben mich und meinte, gleich gebe es etwas Gutes zu essen. Leicht verschleierte und leicht gekleidete schöne Frauen trugen große Schüsseln mit Speisen auf. Zwischen plätschernden Brunnen bewegte sich eine festlich gekleidete Gesellschaft, deren Mittelpunkt der Fürst war. Er trug nun ein rotes Gewand mit goldenem Saum. Er nahm einen Pokal von einem Silbertablett und sagte: "Nun will ich die Geschichte in allen Einzelheiten hören". Er sah sich um und zeigte auf Loger. "Du da, fang an!"
Loger lehnte sich in seine Kissen zurück. Er schüttelte die reichen Spitzen von seinem Handgelenk und legte das Kinn in eine wohlgepflegte Hand. "Der Himmel war schwarz, und der Sandsturm heulte, als wolle er uns das Fleisch von den Knochen fressen. Ich trieb meine edle Stute der blutroten Sonne entgegen".
"Ein schöner Anfang", nickte der Fürst, und die Menge der Gäste drängte sich näher. "Da fiel aus dem unendlichen Firmament der Ras über uns, wie ein feuriger Blitz" . "Halt" unterbrach Shandri, "Der Ras fiel nicht wie ein Blitz. Er war schwer verwundet".
"Er war nur leicht verwundet", entgegnete Loger.
"Nichts hatte der König der Wüste von seiner gewaltigen Kraft und Schnelligkeit eingebüßt. Eine äußerst leichte Verwundung, ein harmloser Kratzer, hatte allerdings seine Wut in Wahnsinn gesteigert, und er prallte gegen mich wie der Faustschlag der Götter".
Die Menge murrte. "Mit einem leichten Zucken der Schulter warf ich den Ras ab. Mein armes nervöses Pferd erlitt allerdings einen Herzschlag".
"Du lügst", schrie Shandri, "Dich hat es wie einen Sack in den Dreck geworfen, und Deine Mähre war zerquetscht". Ich griff ein. "Laßt ihn doch erst einmal weiter erzählen, er ist so schön am Zuge". Logers Stil gefiel mir. Ich hätte die Geschichte vielleicht ähnlich berichtet. Aber Vorsicht bei nachprüfbaren Fakten.
Loger sah sich ruheheischend um. "Ich zog meinen gefährlichen Dolch aus der Scheide und stieß ihn dem Ras in das Herz".
"Schurke!" donnerte der Fürst. "Das ist zuviel! Du hast Deinen Zahnstocher aus sicherer Entfernung daneben geworfen".
Eine tiefverschleierte Gnomenfrau in Blau und Silber, die auf einer Rolle Pergament mit schneller Feder mitschrieb, versuchte zu vermitteln. "Unsere Partei will zugeben, daß Dein Dolch getroffen hat, wenn Du zugibst, daß der Ras schwer verwundet war". "Das ist nun zu wenig", empörte sich Loger. "Ich sprang auf den Rücken des Ras und stieß ihm den Dolch in die Flanke, und der Ras war mittelschwer verwundet". "Und ich?", rief der Barbar. "Ich habe nichts getan? Ich habe den Ras getötet!"
Die Gnomenfrau lachte hell. "Du hast den Ras mit einem einzigen einhändigen Hieb enthauptet, aber der Ras hatte einen Gnomenspeer in der Schulter, dessen Spitze bis ans Herz reichte". Dem Fürsten schien das ganz annehmbar zu sein.
"Es kommt darauf an, liebe Enkelin, daß unser Anteil an diesem Sieg gebührend zur Geltung gebracht wird. Fräulein Kommer, meine Herren, darf ich Euch meine Enkelin Martina vorstellen! "
Die Gnomenfrau verbeugte sich und nahm den Schleier vom Gesicht. Wir sahen in lachende Augen, umrahmt von langem blonden leicht gelocktem Haar.
"Es ist mir eine Ehre" , sagte sie und zog den Schleier wieder vor. Dabei hörte ich ein schwaches Murmeln "diese Hosen sind scheußlich" . Also war nicht jeder im Saal von der Illusion vernebelt. Ich sah, wie Fontes einem der zauberhaften Wesen, die das Essen auftrugen, mit dem Ärmel seiner Kutte die Nase putzte und ihm dann mit einer väterlichen Bewegung durch die Haare fuhr. Aber ich aß den Fasan und das Reh mit großem Vergnügen und genoß den dunklen Wein, obwohl ich jetzt ahnte, daß ich wie Fontes Hartbrot und Dörrfleisch vor mir hatte und Wasser trank.
"Herr Ritter" , wandte sich Martina jetzt an den Barbaren. "Vielleicht kann ich mit Euch leichter verhandeln". Trent d'Arby richtete sich auf. "Der Ras war tödlich verwundet. In seinem Todeskampf tobte er so furchtbar, daß er haushohe Felsen unter seinen Pranken zu Staub zermalmte. Kein anderer als ich, Trent aus dem Hause d'Arby, hätte es jetzt noch gewagt, ihm entgegenzutreten".
Man schien also zu einem Kompromiß zu gelangen. Die Enkelin des Fürsten sagte nach einiger Zeit, sie habe genug Anregungen für einen vorläufigen Text, man solle auch an eine passende Melodie denken. Trent machte den Vorschlag, die schöne und einprägsame Melodie von "Haut den Sergeanten zu Brei" zu verwenden. Dieses Lied habe er als Rekrut oft und gerne gesungen.
Einige der Gnomen meinten, die Noten von "Sturm über der Steppe" seien gut geeignet. Der Fürst entschied dann klug, solch ein Ereignis verlange eine neue eigene Weise. Jeder, der sich berufen fühle, solle darüber nachdenken. Trent d'Arby war aber nicht mehr zu bremsen und sang laut "Haut den Sergeanten" und danach stimmten die Gnomen "Sturm über der Steppe" an.
In meinem Bauch verbreitete sich eine angenehme Wärme. Vielleicht war der Wein doch keine Illusion. Auch eine halb durchwachte Nacht und eine Nacht auf dem Pferderücken machten sich bemerkbar. Bald hob der Fürst die Tafel auf, und seine Enkelin nahm eine gähnende Raffaela mit. Shandri führte uns in einen anderen Raum, dessen Boden mit Fellen ausgelegt war. Er versicherte uns, daß zwei Wachen vor unserer Tür für eine ungestörte Nachtruhe sorgen würden.
So war ich wegen Logers beruflichen Neigungen beruhigt und wickelte mich in meine Felle.


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(c) 1993 Holger Provos