Als die ersten Springmäuse im Sand raschelten, war Fontes wieder der alte. Er kroch aus seiner Decke wie ein Schmetterling aus der Puppe und war in so gnädiger Stimmung, daß er uns mitteilte, heute müsse der Tag mit einem Feuerchen und einem heißen Tee beginnen, dem grünen Tee, mit dem Donisl uns schon einmal erfreut habe. Donisl griff in seine Robe und warf Fontes das Päckchen zu.
Während der Frühstücksvorbereitungen nahm ich Donisl
beiseite. "Freundchen, sie werden Dich aus Deiner
Schule ausschließen, wenn man dort erfährt, daß Du
diesen Spruch kennst, und vor allem, wenn bekannt wird,
daß Du ihn gesprochen hast, ohne zuvor sehr viel Gold
zu kassieren".
Donisl zuckte die Schultern.
"Ich glaube nicht, daß es bekannt werden wird. Außerdem
bin ich mir absolut sicher, daß ich nach diesem kleinen
Unternehmen sehr viel reicher sein werde, als je
zuvor".
Dann ging er zu den anderen zurück, wo ein kleines
Feuer aus unserem spärlichen Holzvorrat flackerte.
Raffaela half dem Gnom beim Frühstück und reichte ihm
ab und zu die Schale mit dampfendem Tee.
Der Gnom blickte dem Magier fest in die Augen. "Ich bin
Rasdi von den kalten Steinen. Ich danke Euch, Magier".
"Kauz heiße ich, Donisl Kauz, verdammt noch mal. Ihr
könnt Euch bedanken soviel Ihr wollt, aber Ihr seid
noch nicht über den Berg. Wenn Ihr nicht binnen drei
Tagen in den Händen eines wirklichen Heilers seid, wird
Eure Hüfte ewig steif bleiben, und Euer rechtes Bein
wird verkümmern".
"Einen Tagesritt nach Osten liegt mein Lager", sagte
der Gnom. "Dort sind Freunde, die auch Rennkamele mit
sich führen. Aber es gibt keinen markierten Weg
dorthin. Könnt Ihr nur nach der Sonne nach Nordosten
und dann nach Osten reiten?"
"Wir können es bestimmt", nickte Donisl. "Das Problem
ist nur, ob Ihr einen Tagesritt durchhaltet, Rasdi".
Fontes dachte nach.
"Gebt mir ein Friedenszeichen. Ich werde zu Euren
Leuten vorauslaufen. Die anderen kommen langsam nach,
und ich eile mit Hilfe entgegen".
Ich stand auf. "Nein, wir werden zusammen bleiben. Wer
weiß, was außer dem Ras sonst noch zwischen den Felsen
schleicht".
Wir beschlossen, Rasdis Pferd liegen zu lassen und das,
was von seiner und des Pferdes Rüstung noch brauchbar
war, zu verstecken. Loger besorgte dies meisterlich und
meinte dann, er habe das Gehirn eines Eichhörnchens und
deshalb soeben das Versteck vergessen.
Trent nahm Rasdis leicht gekrümmtes Schwert und steckte
es wie einen Dolch in seinen Gürtel. Er versicherte dem
Gnom, er werde es ihm zuwerfen, wenn Gefahr drohe.
Loger band den Bogen und den Köcher des Gnoms an den
Sattel des Maultiers, das er nun ritt, und Rasdi saß
auf Fontes' Maultier auf. Wir deckten den Brunnen
sorgfältig ab und brachen auf.
Fontes lief eine Weile neben seinem Maulesel her und
redete auf das Tier ein, die Hufe ganz vorsichtig zu
setzen, es trage einen kranken Mann. Fontes Maultier
hatte das schnell begriffen. Es hatte solch eine
Situation wohl nicht zum ersten Mal zu bewältigen.
Fontes fiel etwas zurück, bis er in meiner Höhe war,
und griff nach meinem Steigbügel. Etwa eine Stunde
ritten wir genau nach Nordosten, bis Rasdi eine winzige
Kleinigkeit nach Osten abwich.
Ich bemerkte, daß wir einer kaum wahrnehmbaren Spur
durch den Sand folgten. Wir waren auf einem Weg, der
nicht einmal auf Fontes Karte eingetragen war. Nach
einer weiteren Stunde hielt Rasdi das geliehene
Maultier an und sagte, der Ritt bereite ihm
Schwierigkeiten. Er wolle versuchen, eine Strecke zu
gehen. Mönch und Magier blickten sich besorgt an, aber
dann nickten beide.
Rasdi stieg ab und ging voraus. Nach einer halben
Stunde wurde er langsamer und blieb stehen.
"Ich bin schwach wie ein Kind. Ich werde wieder
aufsitzen".
Der Barbar schob seinen Hengst nach vorne: "Sitz bei
mir auf, Kamerad. Ich werde Dich halten, und Du wirst
garnicht spüren, wie die Meilen fliegen".
Das war ein guter Einfall. Trent d'Arby hatte in seinem
Söldnerleben anscheinend nicht nur glorreiche Attacken
mitgeritten, sondern vielleicht auch den einen oder
anderen ebenso heldenhaften Rückzug. Trent hielt die
Zügel mit der einen Hand und schlang seinen anderen Arm
um die Hüfte des Gnoms. Der Riese hielt ein Kind. Der
Gnom stützte sich auf Trents Arm und konnte so den Stoß
der Pferdehufe abfangen.
Obwohl die roten Felsen neben unserem Weg allmählich
kleiner wurden, liefen wir dann nach einigen Stunden in
einen Hinterhalt, so wie ihn Loger und Trent gestern so
sorgfältig ausgemalt hatten. Um einen Felsen ritten in
ruhigem Schritt drei gepanzerte Gnome. Der schwarze
Helm des Anführers trug einen roten Federbusch und war
von feinen Goldfäden durchzogen. Darunter stachen
hellblaue Augen über einem Gesichtsschleier aus
dunkelblauer Seide hervor.
Auch die runde Brustplatte des Reiters zeigte feinste
Goldtausia. Den kurzen Speer hielt der Mann wurfbereit
an die Hüfte gesetzt. Links und rechts von uns ritten
zwischen den Felsen weitere Gnome schweigend heran. Ich
wandte mich um. Auch hinter uns waren Reiter auf
kleinen gepanzerten Pferden.
Ich hob die rechte Hand. Loger und der Magier wichen
jeder nach seiner Seite aus, während die anderen
anhielten.
Der Anführer hob leicht seinen Speer. "Halt! Ihr habt
einen Mann meines Volkes gefangen. Laßt ihn absitzen.
Er soll auf mich zugehen".
"Shandri!" rief unser Gnom, "so ist es nicht. Diese
Menschen haben mich von der ersten Sprosse der
Himmelsleiter zurückgeholt. Der Ras hatte mich schon
zur Hälfte gefressen, als sie mich gerettet haben".
Der Anführer ritt hochmütig heran und an mir vorbei, so
als wäre der Hammer unter meinem Rock nicht schon seit
Minuten begierig, ihn zu zerstampfen.
Er saß ab und hockte sich ungerührt mitten unter uns
auf den Boden. Rasdi glitt am Arm des Barbaren vom
Pferd und setzte sich gleichfalls. Die beiden sprachen
in einem unverständlichen Dialekt. Donisl kniff die
Augen forschend zusammen, schüttelte aber dann den
Kopf.
Nach einiger Zeit war wohl alles gesagt. Der Anführer
stand auf. Er nahm seinen Schleier ab, und wir sahen in
ein hartes Gesicht mit kurzem blonden Bart. "In bin
Shandri. Ich befehle über fünfhundert Reiter. Ich
spreche jetzt nur für mich und meine Familie. Ich danke
Euch, daß Ihr meinen Verwandten Rasdi gerettet habt.
Ich habe in meinem Lager schnelle Kamele, die ihn
rechtzeitig zu einem Heiler bringen werden. Aber Ihr
seid in einem Gebiet, das verboten ist, und habt einen
Weg gesehen, den Ihr nicht hättet sehen dürfen. Darüber
kann nur der Fürst entscheiden".
Fontes protestierte: "Wir haben eine andere dringende
Aufgabe. Wir sind in Eile!"
Der Magier zuckte die Schultern. "Wenn ein Fürst ruft,
gibt es keine andere Eile, als seinem Ruf zu folgen".
Rasdi war fortgeschafft, nachdem er uns noch bedauernd
zugewinkt hatte, und wir ritten in einem schnellen Trab
zwischen den Gnomen. Shandri entschuldigte sich dafür,
daß er uns keinen weiten Blick erlauben dürfe.
Tatsächlich war unsere Sichtweite auf diesem Ritt auf
etwa dreihundert Meter beschränkt, und der Himmel
erschien so dunstig, daß wir den Stand der Sonne nicht
bestimmen konnten.
Falls Fontes die Illusion durchschaute, sagte er
jedenfalls nichts davon. Als es eigentlich Nacht werden
sollte, beschien ein seltsames gelbes Licht unseren
Weg.
"Nehmt Rücksicht auf die Frau", sagte ich später zu
Shandri. Shandri nickte und ließ anhalten. Wir kauten
Dörrfleisch und tranken kaltes Wasser. Der heiße Tee
von heute Morgen lag schon Jahre zurück. Loger rutschte
an mich heran. Er deutete mit einem schnellen Blick auf
Shandri: "Er trägt in seinem Beutel etwa dreihundert,
und der Griff seines Dolchs ist aus grünem Edelstein.
Ich schätze fünfhundert ohne den Wert der Scheide".
Obwohl Loger kaum die Lippen bewegt hatte, schlenderte
Shandri heran. Er zog den Dolch aus dem Gürtel und warf
ihn Loger in den Schoß. "Schau ihn Dir genau an. Ein
Erbstück von meinem Vorurgroßvater. Ohne Scheide
mindestens achthundertfünfzig". Loger blickte auf den
Dolch und reichte ihn dann zurück. "Du hast Recht,
mindestens achthundertfünfzig. Wir sollten jetzt
versuchen etwas zu schlafen".
Nach etwas mehr als zwei Stunden mußten wir
weiterreiten. Zumindest auf diesem Ritt kam jeder von
uns zu der inneren Einkehr und der Klarheit der
Gedanken, von der wir am Rande der Wüste gesprochen
hatten. Wenn einer von uns im Sattel einzuschlafen
drohte, ritt ein freundlicher Gnom heran, und eine
kleine harte Hand klopfte dem Betreffenden auf die
Schulter, begleitet von aufmunternden Worten. Ich war
sicher, die Kerle würden uns die Beine unter dem Sattel
zusammen binden, falls irgendjemand ernsthaft
schlappmachen sollte.
Die Zeit verging nicht mehr, nur die Farben änderten
sich. Das unnatürliche Gelb wurde erst fahler, dann
wieder heller. Irgendwann erschien es als kräftiges Rot
und verwandelte sich dann in den natürlichen Schein der
goldenen Sonne. Fontes richtete sich im Sattel auf und
krächzte: "Schaut nach vorne, wir sind da!"
Vor uns lag eine Burg. Aus ihrer Mitte erhob sich ein
großer runder Turm, der vom Fuß bis zur Spitze mit
weißen und goldenen Mosaiken verziert in der Sonne
schimmerte. Die Burganlage war ein langgezogenes
Rechteck, unten aus großen Blöcken fahlen Sandsteins,
ohne Öffnung oder Schießscharten, im oberen Drittel von
zahllosen weißgerahmten Fenstern durchbrochen. Jedes
zeigte eine andere Form und eine andere Verzierung. Die
meisten Fenster hatten geschnitzte Holzläden, einige
waren aber auch mit einem Gitterwerk aus zierlichen
Ziegeln versehen, und auch hier hatte jedes Gitter eine
neue Form und einen neuen Einfall.
Um den oberen Rand der Burgmauer zog sich wiederum in
weißer Farbe ein Fries mit ständig wechselnden Mustern.
Die Burg, obwohl solide und sicher gut zu verteidigen,
machte insgesamt einen freundlichen Eindruck. Ob man
uns allerdings freundlich empfangen würde, war eine
noch nicht beantwortete Frage.
Shandri hatte die verhüllende Illusion erst unmittelbar
vor den Mauern aufgehoben, und wir ritten jetzt schon
durch einen Wirrwarr von Zelten, Kamelen und Pferden.
Überall standen Gnome, Männer, Frauen und Kinder. Alle
sahen aufmerksam zu uns herüber, aber keiner rief ein
Willkommen, und nicht einmal die kleinen Kinder
winkten.
Shandris Männer nahmen uns in die Mitte, als ob sie uns
vor ihrem Volk schützen müßten, und so ritten wir durch
ein spitzbogiges Tor. Dahinter wurden wir von
Bewaffneten erwartet. Auf beiden Seiten des Torweges
hielten gepanzerte Reiter lange Lanzen in der Hand.
Dahinter erhob sich eine Reihe von Kamelreitern, die
statt der Lanzen Bündel kleiner Wurfspeere trugen.
Alle hatten die blauen Schleier tief vor das Gesicht
gezogen. Wie durch einen Trichter wurden wir auf einen
Kuppelbau hingeführt. Vor dem Eingang dieses Gebäudes
standen drei Würdenträger mit langen roten Gewändern.
Links und rechts von ihnen stemmte je ein
plattengepanzerter Gnom seine Füße in den Boden und
hielt in Eisenhandschuhen starke Hundeketten, an denen
jeweils fünf große wollige schwarze Hunde mit langen
Reißzähnen zerrten und knurrten.
Ich bemerkte, daß der Abstand zwischen den beiden
gerade so groß war, daß ein Fußgänger eben hindurch
konnte, wenn die Eisenmänner die Hundeketten straff
gespannt hielten.
Der mittlere Würdenträger trat einen Schritt vor und
hob die Hand. Genau diesen feierlichen Augenblick
wählte Fontes, um von seinem Maultier zu rutschen und
laut jaulend zwischen die Hunde zu laufen. Ein
ohrenbetäubendes Heulen antwortete, und die Hundeführer
wurden im selben Augenblick nach vorne gerissen. Eine
Staubwolke erhob sich, und Fontes graue Kutte
verschwand zwischen wirbelnden Hundeleibern.
Es jaulte und kläffte, daß die Burgmauern widerhallten.
Einer der Reiter neben mir begann hemmungslos zu lachen
und verstummte dann jäh unter Shandris eisigem Blick.
Zehn Hundeschwänze wedelten, und jedes Tier drängte und
schob, um Fontes auch von der letzten Spur des
Reisestaubs sauber zu lecken.
Ich saß ab und zog Fontes aus der Meute heraus. Die
Hunde hüpften jetzt begeistert an ihm hoch. Dann aber
sammelten die erbosten Hundeführer die Ketten auf und
zogen. Die Hunde winselten enttäuscht . Ich schob
Fontes nach hinten in die Hände des Barbaren und wandte
mich an den mittleren Würdenträger.
"Es kommt darauf an, die Wechselfälle des Lebens mit
Fassung zu ertragen". "Der Fürst erwartet Euch! "
antwortete er grimmig und wandte sich um. Wir folgten
durch das Tor der Kuppel, und Trent d'Arby hielt Fontes
mit eisernem Griff am Arm.
So gelangten wir ohne weitere Zwischenfälle durch einen
breiten Gang in einen weiten weißgetünchten Saal . Auf
einem flachgemauerten Podest in der Mitte des Raumes
saß auf einem einfachen dunkelroten Teppich ein sehr
alter Gnom. Er war unverschleiert . Unter
kurzgeschorenem weißen Haar blickten uns fahlblaue
Augen an. Es war unzweifelhaft der Fürst . Unsere
Begleiter hielten in einem respektvollen Abstand an.
Der Fürst trug eine schlichte Kutte aus sandgelb
gegerbtem Leder. In der Hand hielt er einen faustgroßen
runden Kristall.
"Die Männer sollen niederknien. Kniet nieder vor Fürst
Tiedgi, dem Herrn der Kalten Steine" . Wir ließen uns
auf die Knie nieder. Der Fürst sah uns nicht an,
sondern blickte auf den Kristall in seiner Handfläche.
"Willkommen, Tochter des Kommer", sagte eine
erstaunlich kräftige Stimme. "Ihr erweist meinem Haus
durch Euren Besuch eine große Ehre. Eure Anwesenheit
ist eine Freude".Dann nahm der Fürst seine Augen vom
Kristall, und erst jetzt blickte er Raffaela an. "Doch
Eure Begleitung verwundert mich. Der Hundefreund und
der Barbar mögen noch angehen. Aber ich sehe auch Loger
Schwarzhand, einen gemeinen Dieb, Dionisius von
Kalithera, einen windigen Hexer, und Gregor, den
Hammer, einen . . . . ".
Ich unterbrach: "Gregor der Schmied, Euer Gnaden, ein
harmloser Gastwirt aus Lahee".
"Unverschämtheit !" schrie der Greis, und hinter mir
hörte ich das scharrende Geräusch von Schwertern, die
aus der Scheide gezogen wurden. "Wo ist Euer
Gastgeschenk?".
Ich stand auf. Wir hatten nur einen Gegenstand bei uns,
der als Gastgeschenk für einen Fürsten geeignet war.
Ich zog dem Barbaren ein Bündel aus dem Gürtel und ging
zu dem Podest . Vor dem Gnom entrollte ich das blutige
Tuch mit den Zähnen des Ras.
"Der König der Wüste grüßt Tiedgi, den Herrn der Kalten
Steine!". Der Fürst sah lange auf das blutige Tuch.
Dann legte er den Kristall beiseite und sein Gesicht
zersprang in kleine Falten: "Kinder, Ihr habt mir eine
große Freude gemacht. Dies ist ein wahrhaft königliches
Geschenk!".
Er winkte Shandri heran, der das blutige Tuch wieder
einrollte und die Zähne wegtrug. "Bringt mir eine
Schale Wasser!" Eilig wurde eine flache Schale vor den
Fürsten gestellt: "Wir feiern ein Fest. Wir feiern den
Sieg über den König der Wüste, und wir feiern Rasdis
Rettung."
Die Hände des Gnoms fuhren durch das Wasser und kamen
mit perlenden Tropfen wieder heraus . "Fräulein Kommer
und der Hundefreund sollen sich neben mich setzen",
rief er, als er die Wassertropfen von den Händen
schüttelte. Aus den Tropfen entstanden Seidenteppiche
und Seidenkissen. Raffaelas schmutzige Kleider
verwandelten sich in festliche Roben, und Fontes graue
Kutte schimmerte in dunklem Silber. Musik erklang, und
die vorher weiß getünchten Wände schimmerten in allen
Farben des Marmors.
Ein in Brokat gekleideter Shandri setzte sich neben
mich und meinte, gleich gebe es etwas Gutes zu essen.
Leicht verschleierte und leicht gekleidete schöne
Frauen trugen große Schüsseln mit Speisen auf. Zwischen
plätschernden Brunnen bewegte sich eine festlich
gekleidete Gesellschaft, deren Mittelpunkt der Fürst
war. Er trug nun ein rotes Gewand mit goldenem Saum.
Er nahm einen Pokal von einem Silbertablett und sagte:
"Nun will ich die Geschichte in allen Einzelheiten
hören". Er sah sich um und zeigte auf Loger. "Du da,
fang an!"
Loger lehnte sich in seine Kissen zurück. Er schüttelte
die reichen Spitzen von seinem Handgelenk und legte das
Kinn in eine wohlgepflegte Hand. "Der Himmel war
schwarz, und der Sandsturm heulte, als wolle er uns das
Fleisch von den Knochen fressen. Ich trieb meine edle
Stute der blutroten Sonne entgegen".
"Ein schöner Anfang", nickte der Fürst, und die Menge
der Gäste drängte sich näher. "Da fiel aus dem
unendlichen Firmament der Ras über uns, wie ein
feuriger Blitz" . "Halt" unterbrach Shandri, "Der Ras
fiel nicht wie ein Blitz. Er war schwer verwundet".
"Er war nur leicht verwundet", entgegnete Loger.
"Nichts hatte der König der Wüste von seiner gewaltigen
Kraft und Schnelligkeit eingebüßt. Eine äußerst leichte
Verwundung, ein harmloser Kratzer, hatte allerdings
seine Wut in Wahnsinn gesteigert, und er prallte gegen
mich wie der Faustschlag der Götter".
Die Menge murrte. "Mit einem leichten Zucken der
Schulter warf ich den Ras ab. Mein armes nervöses
Pferd erlitt allerdings einen Herzschlag".
"Du lügst", schrie Shandri, "Dich hat es wie einen Sack
in den Dreck geworfen, und Deine Mähre war
zerquetscht". Ich griff ein. "Laßt ihn doch erst einmal
weiter erzählen, er ist so schön am Zuge". Logers Stil
gefiel mir. Ich hätte die Geschichte vielleicht ähnlich
berichtet. Aber Vorsicht bei nachprüfbaren Fakten.
Loger sah sich ruheheischend um. "Ich zog meinen
gefährlichen Dolch aus der Scheide und stieß ihn dem
Ras in das Herz".
"Schurke!" donnerte der Fürst. "Das ist zuviel! Du hast
Deinen Zahnstocher aus sicherer Entfernung daneben
geworfen".
Eine tiefverschleierte Gnomenfrau in Blau und Silber,
die auf einer Rolle Pergament mit schneller Feder
mitschrieb, versuchte zu vermitteln. "Unsere Partei
will zugeben, daß Dein Dolch getroffen hat, wenn Du
zugibst, daß der Ras schwer verwundet war". "Das ist
nun zu wenig", empörte sich Loger. "Ich sprang auf den
Rücken des Ras und stieß ihm den Dolch in die Flanke,
und der Ras war mittelschwer verwundet". "Und ich?",
rief der Barbar. "Ich habe nichts getan? Ich habe den
Ras getötet!"
Die Gnomenfrau lachte hell. "Du hast den Ras mit einem
einzigen einhändigen Hieb enthauptet, aber der Ras
hatte einen Gnomenspeer in der Schulter, dessen Spitze
bis ans Herz reichte". Dem Fürsten schien das ganz
annehmbar zu sein.
"Es kommt darauf an, liebe Enkelin, daß unser Anteil an
diesem Sieg gebührend zur Geltung gebracht wird.
Fräulein Kommer, meine Herren, darf ich Euch meine
Enkelin Martina vorstellen! "
Die Gnomenfrau verbeugte sich und nahm den Schleier vom
Gesicht. Wir sahen in lachende Augen, umrahmt von
langem blonden leicht gelocktem Haar.
"Es ist mir eine Ehre" , sagte sie und zog den Schleier
wieder vor. Dabei hörte ich ein schwaches Murmeln
"diese Hosen sind scheußlich" . Also war nicht jeder im
Saal von der Illusion vernebelt. Ich sah, wie Fontes
einem der zauberhaften Wesen, die das Essen auftrugen,
mit dem Ärmel seiner Kutte die Nase putzte und ihm dann
mit einer väterlichen Bewegung durch die Haare fuhr.
Aber ich aß den Fasan und das Reh mit großem Vergnügen
und genoß den dunklen Wein, obwohl ich jetzt ahnte, daß
ich wie Fontes Hartbrot und Dörrfleisch vor mir hatte
und Wasser trank.
"Herr Ritter" , wandte sich Martina jetzt an den
Barbaren. "Vielleicht kann ich mit Euch leichter
verhandeln". Trent d'Arby richtete sich auf. "Der Ras
war tödlich verwundet. In seinem Todeskampf tobte er so
furchtbar, daß er haushohe Felsen unter seinen Pranken
zu Staub zermalmte. Kein anderer als ich, Trent aus dem
Hause d'Arby, hätte es jetzt noch gewagt, ihm
entgegenzutreten".
Man schien also zu einem Kompromiß zu gelangen. Die
Enkelin des Fürsten sagte nach einiger Zeit, sie habe
genug Anregungen für einen vorläufigen Text, man solle
auch an eine passende Melodie denken. Trent machte den
Vorschlag, die schöne und einprägsame Melodie von "Haut
den Sergeanten zu Brei" zu verwenden. Dieses Lied habe
er als Rekrut oft und gerne gesungen.
Einige der Gnomen meinten, die Noten von "Sturm über
der Steppe" seien gut geeignet. Der Fürst entschied
dann klug, solch ein Ereignis verlange eine neue eigene
Weise. Jeder, der sich berufen fühle, solle darüber
nachdenken. Trent d'Arby war aber nicht mehr zu bremsen
und sang laut "Haut den Sergeanten" und danach stimmten
die Gnomen "Sturm über der Steppe" an.
In meinem Bauch verbreitete sich eine angenehme Wärme.
Vielleicht war der Wein doch keine Illusion. Auch eine
halb durchwachte Nacht und eine Nacht auf dem
Pferderücken machten sich bemerkbar. Bald hob der Fürst
die Tafel auf, und seine Enkelin nahm eine gähnende
Raffaela mit. Shandri führte uns in einen anderen Raum,
dessen Boden mit Fellen ausgelegt war. Er versicherte
uns, daß zwei Wachen vor unserer Tür für eine
ungestörte Nachtruhe sorgen würden.
So war ich wegen Logers beruflichen Neigungen beruhigt
und wickelte mich in meine Felle.
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