Man ließ uns bis in den späten Vormittag schlafen. Dann
weckte uns ein leicht verkaterter Shandri, dem
Gnomenkinder mit heißem Tee und frischgebackenem Brot
folgten. Er erzählte, daß Rasdi in den besten Händen
sei. Der Heiler des Fürsten schimpfe allerdings
fortwährend auf gewisse Kurpfuscher und Scharlatane von
einer anderen Zunft, die neuerdings überall ihr Unwesen
trieben.
Donisl war geschmeichelt.
Shandri blieb während des Frühstücks bei uns sitzen und
schwatzte. Im Lager und in der Burg entstünden laufend
neue Melodien und man habe sich allgemein schon auf den
Titel "Die Zähne des Ras" geeinigt.
Nach dem Essen führte er uns überall in Burg und Lager
herum. Heute waren wir Freunde und Gäste des Fürsten.
Jeder wollte mit uns reden, jedes Gnomenkind wollte auf
den Schultern des Barbaren reiten. Einige Gnome fragten
direkt nach dem Ort, an dem wir das Zusammentreffen mit
dem Ras hatten, andere listig, auf welchem Weg wir aus
der Steppe gekommen und wo wir in Shandris Hinterhalt
gelaufen waren.
Wir wehrten die Fragen mit Lachen und Scherzen ab. Am
Nachmittag stieß Raffaela zu uns. Die scheußlichen
Hosen waren verschwunden. Statt dessen trug sie einen
langen schwarzen Rock, der sich, wie Raffaela uns stolz
zeigte, als zweiteiliger Reitrock entpuppte. Es waren
Hosen, die so lang und faltig geschnitten waren, daß
sie beim Gehen und Stehen wie ein normaler Rock
aussahen.
Donisl gab der Hosenrockmode unter diesem Gesichtspunkt
nun doch gewisse Chancen auf breitere Anerkennung. Aus
Martinas Vorräten hatte sich Raffaela eine rote Schärpe
ergaunert, und ihre lange Haare waren zu zwei Zöpfen
mit roten Bändern geflochten.
"Entzückend und sehr praktisch für eine Reise" , sagte
Donisl. Da Raffaela zudem die rote Schärpe sehr eng
gebunden hatte, wurde sie auch von den Gnomenmännern
unverhohlen bewundert.
Unter dem kleinen Volk vor der Burg gab es nur drei
Fremde auf dem Platz der Händler. Zwei kräftige Zwerge
waren mit ihren Maultieren da, um einige Barren des von
den Gnomen gefertigten Stahls zu kaufen. Die Gnome auf
den Hängen des Kirpan-Gebirges schmolzen den Stahl
nicht wie Menschen und Zwerge in der Absicht, ein
möglichst reines Produkt zu erzielen.
Sie gingen zwar schon von fast reinem Eisen aus, doch
dann nahmen sie wieder kleine Portionen des Metalls und
schmolzen es erneut, wobei sie in die Tiegel
getrocknetes Gras, etwas Schwefel und andere Zusätze
sowie eine besondere Art schwarzen Quarzsandes warfen.
Das alles durchdrang in geheimnisvoller Weise die
Schmelze und erzeugte einen Stahl, der zu erstaunlich
scharfen Klingen ausgeschmiedet werden konnte. Die
fertige Klinge wurde durch Säure gedunkelt und zeigte
dann das feine Muster eines Sees , über dem ein
leichter Wind die Wellen kräuselt. Obwohl diese Klingen
sehr scharf waren und den Schnitt lange hielten, waren
sie doch manchmal etwas zu spröde und taugten eher zu
Dolchen und Kurzschwertern als zu langen Säbeln. Denn
die Härtung dieses Stahls war eine Arbeit, die sehr
viel Erfahrung forderte.
Eine zu hohe Hitze vor dem Abschrecken konnte die ganze
mühselige Arbeit verderben.
So hatte ich mit den beiden Zwergen ein sehr schönes
Fachgespräch, das sich aber zum Unwillen der restlichen
Gesellschaft zu lange hinzog, denn Raffaela drängte
mich zu dem dritten Fremden hin, einem Menschen, der
mit vier Kamelen durch die Wüste gekommen war, um
Handel zu treiben. Es war ein dicklicher Kaufmann aus
Ber Gama mit glänzenden Backen. Er sah auf den ersten
Blick nicht so aus, als traue man ihm zu, alleine mit
vier Kamelen für gute drei Wochen durch karges Land zu
reisen und zudem den gerade vor Menschen sorgsam
abgeschirmten Sitz Tiedgis zu finden.
Auch waren seine Preise so freundlich, daß er unter
Berücksichtigung der Reisekosten nur mit einem geringen
Gewinn nach Hause zurückkehren konnte.
Der Kaufmann Jamba aus der Hauptstadt war in meinen
Augen entweder ein kleines unauffälliges Bindeglied
zwischen dem König und dem Fürsten, die auf offizieller
Ebene nur selten Verbindung aufnahmen, oder er handelte
auch mit anderen Waren, zum Beispiel mit Informationen.
Jamba freute sich sichtlich, hier auf Menschen zu
treffen und hatte schon zwei oder drei Versionen des
Liedes gehört . Er fragte den Barbaren, ob er den Ras
wirklich mit einem einhändigen Hieb enthauptet habe,
und Trent d'Arby lachte und schlug mit der flachen Hand
auf die Scheide seines Zweihänders.
Jamba zeigte uns stolz die Auslagen vor seinem Zelt. Er
handelte einerseits mit Küchengeräten von guter
Qualität, andererseits mit Stoffen aus der Hauptstadt.
Es waren ausschließlich leichte geblümte Tuche, die in
deutlichem Gegensatz zu den hier vorherrschenden
kräftigen Farben standen. Er versicherte Raffaela, auch
ein kleiner Händler könne gut verdienen, wenn er die
letzte Mode aus der Hauptstadt in die ferne Provinz
bringe. So betrachtete Raffaela die Stoffe mit
Interesse. Als Jamba dann die gelangweilten Gesichter
der anderen sah, schlug er sich plötzlich mit der Hand
auf die Stirn und sagte, ihm sei etwas eingefallen. Die
Kleidung des Herrn Loger habe bei seinem tapferen Kampf
mit dem Ras doch sehr gelitten, und für einen Soldaten
sei es schandbar, unter der Art seines Standes
gekleidet zu sein. Er habe da zwei Ladenhüter, die er
vor Jahren den Gnomen für teures Geld abgekauft habe,
die aber bei den Menschen eigenartigerweise keinerlei
Interesse gefunden hätten. Diese Sachen hätten die
Reise durch die Wüste nun schon mehrfach hin und zurück
mitgemacht. Sie würden nur unnötig Platz auf den
Kamellasten wegnehmen.
Jamba verschwand in seinem Zelt, wühlte dort herum und
kam mit einem Kettenhemd und einem Mantel wieder
heraus. Das knielange Kettenhemd war eine typische
Gnomenarbeit von bester Machart. Die winzigen Ringe
waren tief geschwärzt und saßen so eng beieinander, daß
man die Zwischenräume nur ahnte. Auf der Mitte des
Kettenhemdes glänzte matt eine schwarze Brustplatte
ohne jede Verzierung. Der Mantel war von der Wolle
junger Schafe und schimmerte seidig in einem
nachtdunklen Blau. Auch der Dümmste konnte sehen, daß
Kettenhemd und Mantel, fügte man nur ein goldenes
Wappen auf die Brustplatte und einen feinen Saum um das
Tuch, die Kleidung eines Edelmannes waren.
"Wie viel?" fragte Loger und heuchelte geringes
Interesse. "Zwanzig Goldstücke", sagte Jamba. Loger
trat überrascht zurück. "Ich gebe noch ein Paar Stiefel
dazu", beeilte sich Jamba, "dann bin ich schon weit
unter dem Selbstkostenpreis". Loger antwortete
gewohnheitsmäßig: "Fünfzehn und ich will zuerst die
Stiefel sehen".
Jamba holte aus seinem Zelt ein Paar knielange
Wildlederstiefel.
"Mit fünfzehn treibst du mich in den Ruin", jammerte
er."Aber ich habe nun einmal eine Schwäche für Helden".
Loger zählte Jamba fünfzehn Goldstücke in die Hand, und
alle paßten auf, daß er nicht mogelte.
Dann nahm er die Sachen und verschwand in Jambas Zelt.
Ich winkte den staunenden Barbaren und den
schmunzelnden Magier heran und trat dicht vor den
Händler.
"Freund Jamba", sagte ich und faßte ihn
freundschaftlich an die Schulter. "Was bezweckst du mit
diesem Handel?" Jamba sah mich verschmitzt an. "Ich
sagte schon, daß ich eine Schwäche für Helden habe. Der
junge Soldat scheint ein vielversprechender Mann zu
sein, dessen Wohlwollen ich gewinnen will. Das Lied,
das ich heute gehört habe, hat mir sehr gefallen.
Vielleicht höre ich bald wieder einmal ein Lied von
Euren Taten".
Donisl grinste jetzt deutlich boshaft. "Du meinst, in
dieser kleinen Welt weiß man nie, wann man sich
wiedertrifft?"
"Genau", sagte Jamba, "das weiß man nie".
Loger rief aus dem Zelt: "Schmuggelst Du eigentlich,
Jamba?"
"Oh nein", entsetzte der sich, "ich bin noch nie
verurteilt worden. Wie kommst Du eigentlich darauf?"
Aus dem Zelt trat ein völlig veränderter Loger.
"Donnerwetter!" rief der Barbar, "Gut siehst Du aus!"
kam es von Raffaela und "Elegant, elegant" vom Magier.
Loger hatte erstaunlich gewonnen. Er ließ sich
bestaunen und drehte sich mit wehendem Mantel herum.
"Soll ich die Kapuze aufsetzen?" fragte er. "Nein",
sagte Donisl. "Wir werden noch etwas für Deine Frisur
tun, die rote Schleife muß weg, und dann ist alles in
bester Ordnung". "Alles mein Werk", strahlte Jamba,
"ich wünsche den Herren für die weitere Reise nach
Samdavjun alles Gute".
"Es ist immer wohltuend", sagte Loger, "einen
wohlinformierten Mann zu treffen". Er korrigierte den
Sitz seines Schwertes, damit es im richtigen Winkel
unter dem Mantel herausschaute. "Ich werde an Dein
Informationsbedürfnis denken". "Sicher, sicher", sagte
Jamba und wandte sich strahlend zwei Gnomenfrauen zu,
die in den Stoffen wühlten.
Wir gingen weiter durch das Lager, das heißt Loger, der
nunmehr Dunkelblaue, schritt vornehm daher und
versuchte, den Stil des Magiers zu kopieren.
Am Tor der Burg wurden wir von einem fremden Gnom
erwartet, der uns bat, ihn für einige kurze Augenblicke
zu begleiten. Rasdis Familie wolle uns danken.
Fontes versuchte zu protestieren, aber ich wies ihn
darauf hin, daß so etwas zu den nachträglichen
Komplikationen einer Lebensrettung gehöre.
Wir wurden durch einige verwinkelte Gänge in einen Raum
geführt, in dem Rasdis Familie in einer Reihe
unverschleiert dastand und sich gemessen verbeugte.
Rasdi hatte eine süße kleine Frau und drei noch
niedlichere kleine Töchter. Sein älterer Bruder hielt
eine aufrichtige Dankesrede, und alles verneigte sich
wieder. Dann versicherte uns Rasdis Bruder, die Familie
sei sich ihrer Schuld besonders dem Magier gegenüber
bewußt und werde ihr möglichstes tun, in angemessener
Zeit eine angemessene Summe zu entrichten. Donisl
meisterte auch diese Situation. Er schlug vor, man
solle sich setzen und vielleicht könne ein Krug Wein
gereicht werden, um die Sache in Ruhe zu besprechen. Er
schickte Fontes zu den kleinen Mädchen mit dem strengen
Auftrag, die Geschichte für kindliche Gemüter bereinigt
zu erzählen, und das Heldentum ihres Vaters besonders
herauszustreichen.
Raffaela sagte irgendetwas Törichtes über die süßen
kleinen Wesen und ging mit Fontes.
Die Männer setzten sich zusammen. Selbst Trent d'Arby
verstand, daß jetzt ein Geschäft abgewickelt wurde, und
Loger war ganz gespannte Aufmerksamkeit. Donisl trank
gemächlich einen Schluck Wein.
"Ich könnte für den Spruch alleine eine erhebliche
Belohnung erwarten. Doch es war eine
Gemeinschaftsarbeit, und so ist die Sache nicht mehr
einfach". Rasdis Bruder nickte. "Aber es besteht für
uns alle die Möglichkeit, ausreichend zu gewinnen. Es
ist zweieinhalb Tage her, daß der Ras erschlagen wurde.
Ein entschlossener Reitertrupp könnte die Stelle bei
einem schnellen Ritt in weniger als zwei Tagen
erreichen und versuchen, das Fell, die Krallen und die
restlichen Zähne zu bergen. Der Gewinn könnte zur
Hälfte Eurer Familie zugute kommen. Es besteht ja
nunmehr Einigkeit, daß Rasdis Speer bis an das Herz des
Untiers reichte. Daher gebührt ihm die Hälfte der
Beute. Unsere Gruppe beansprucht die andere Hälfte.
Doch Eile tut not. Es könnten noch andere auf die Suche
gehen und zufällig Erfolg haben". Donisl sah Rasdis
Bruder fest in die Augen. "Aber jetzt ist es noch ein
sicherer Gewinn, auf den wir setzen. Euer Anteil sind
ein harter Ritt und schnelle Arbeit . Gelingt es
nicht, wäre uns Euer Versuch Belohnung genug. Mehr
wollen wir nicht beanspruchen". Donisl schlug die Augen
nieder. So heimtückisch auf ihre Ehre angesprochen,
sprangen die Gnome auf. Ihre Augen glänzten. Rasdis
Bruder rief nach einer leichten Rüstung und nach seinem
Bogen. Wir wurden mit den anderen Männern nach draußen
gedrängt.
Loger beschrieb einem jungen Gnom mit flinken Augen,
bei dem er vielleicht eine gewisse Seelenverwandtschaft
erkannt hatte, die Stelle, an der der Körper des Ras
lag, und die Stelle, an der die unbeschädigten Teile
der Gnomenrüstung versteckt waren. Ein älterer Gnom mit
wettergegerbtem Gesicht hörte aufmerksam zu.
Dann waren plötzlich Pferde und Kamele zur Stelle, und
jemand schrie nach mehr Wassersäcken. Donisl gab
ungerührt an, die Hälfte des Gewinns solle an Gregors
Gasthaus in Lahee geschickt werden, dann trappelten
Hufe, und wir standen allein in einer verwehenden
Staubwolke .
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