NEUNTES KAPITEL

in dem wir einen Ruhetag einlegen. Loger kauft vorteilhaft ein.

Man ließ uns bis in den späten Vormittag schlafen. Dann weckte uns ein leicht verkaterter Shandri, dem Gnomenkinder mit heißem Tee und frischgebackenem Brot folgten. Er erzählte, daß Rasdi in den besten Händen sei. Der Heiler des Fürsten schimpfe allerdings fortwährend auf gewisse Kurpfuscher und Scharlatane von einer anderen Zunft, die neuerdings überall ihr Unwesen trieben.
Donisl war geschmeichelt.
Shandri blieb während des Frühstücks bei uns sitzen und schwatzte. Im Lager und in der Burg entstünden laufend neue Melodien und man habe sich allgemein schon auf den Titel "Die Zähne des Ras" geeinigt.
Nach dem Essen führte er uns überall in Burg und Lager herum. Heute waren wir Freunde und Gäste des Fürsten. Jeder wollte mit uns reden, jedes Gnomenkind wollte auf den Schultern des Barbaren reiten. Einige Gnome fragten direkt nach dem Ort, an dem wir das Zusammentreffen mit dem Ras hatten, andere listig, auf welchem Weg wir aus der Steppe gekommen und wo wir in Shandris Hinterhalt gelaufen waren.
Wir wehrten die Fragen mit Lachen und Scherzen ab. Am Nachmittag stieß Raffaela zu uns. Die scheußlichen Hosen waren verschwunden. Statt dessen trug sie einen langen schwarzen Rock, der sich, wie Raffaela uns stolz zeigte, als zweiteiliger Reitrock entpuppte. Es waren Hosen, die so lang und faltig geschnitten waren, daß sie beim Gehen und Stehen wie ein normaler Rock aussahen.
Donisl gab der Hosenrockmode unter diesem Gesichtspunkt nun doch gewisse Chancen auf breitere Anerkennung. Aus Martinas Vorräten hatte sich Raffaela eine rote Schärpe ergaunert, und ihre lange Haare waren zu zwei Zöpfen mit roten Bändern geflochten.
"Entzückend und sehr praktisch für eine Reise" , sagte Donisl. Da Raffaela zudem die rote Schärpe sehr eng gebunden hatte, wurde sie auch von den Gnomenmännern unverhohlen bewundert.
Unter dem kleinen Volk vor der Burg gab es nur drei Fremde auf dem Platz der Händler. Zwei kräftige Zwerge waren mit ihren Maultieren da, um einige Barren des von den Gnomen gefertigten Stahls zu kaufen. Die Gnome auf den Hängen des Kirpan-Gebirges schmolzen den Stahl nicht wie Menschen und Zwerge in der Absicht, ein möglichst reines Produkt zu erzielen.
Sie gingen zwar schon von fast reinem Eisen aus, doch dann nahmen sie wieder kleine Portionen des Metalls und schmolzen es erneut, wobei sie in die Tiegel getrocknetes Gras, etwas Schwefel und andere Zusätze sowie eine besondere Art schwarzen Quarzsandes warfen. Das alles durchdrang in geheimnisvoller Weise die Schmelze und erzeugte einen Stahl, der zu erstaunlich scharfen Klingen ausgeschmiedet werden konnte. Die fertige Klinge wurde durch Säure gedunkelt und zeigte dann das feine Muster eines Sees , über dem ein leichter Wind die Wellen kräuselt. Obwohl diese Klingen sehr scharf waren und den Schnitt lange hielten, waren sie doch manchmal etwas zu spröde und taugten eher zu Dolchen und Kurzschwertern als zu langen Säbeln. Denn die Härtung dieses Stahls war eine Arbeit, die sehr viel Erfahrung forderte.
Eine zu hohe Hitze vor dem Abschrecken konnte die ganze mühselige Arbeit verderben.
So hatte ich mit den beiden Zwergen ein sehr schönes Fachgespräch, das sich aber zum Unwillen der restlichen Gesellschaft zu lange hinzog, denn Raffaela drängte mich zu dem dritten Fremden hin, einem Menschen, der mit vier Kamelen durch die Wüste gekommen war, um Handel zu treiben. Es war ein dicklicher Kaufmann aus Ber Gama mit glänzenden Backen. Er sah auf den ersten Blick nicht so aus, als traue man ihm zu, alleine mit vier Kamelen für gute drei Wochen durch karges Land zu reisen und zudem den gerade vor Menschen sorgsam abgeschirmten Sitz Tiedgis zu finden.
Auch waren seine Preise so freundlich, daß er unter Berücksichtigung der Reisekosten nur mit einem geringen Gewinn nach Hause zurückkehren konnte.
Der Kaufmann Jamba aus der Hauptstadt war in meinen Augen entweder ein kleines unauffälliges Bindeglied zwischen dem König und dem Fürsten, die auf offizieller Ebene nur selten Verbindung aufnahmen, oder er handelte auch mit anderen Waren, zum Beispiel mit Informationen.
Jamba freute sich sichtlich, hier auf Menschen zu treffen und hatte schon zwei oder drei Versionen des Liedes gehört . Er fragte den Barbaren, ob er den Ras wirklich mit einem einhändigen Hieb enthauptet habe, und Trent d'Arby lachte und schlug mit der flachen Hand auf die Scheide seines Zweihänders.
Jamba zeigte uns stolz die Auslagen vor seinem Zelt. Er handelte einerseits mit Küchengeräten von guter Qualität, andererseits mit Stoffen aus der Hauptstadt. Es waren ausschließlich leichte geblümte Tuche, die in deutlichem Gegensatz zu den hier vorherrschenden kräftigen Farben standen. Er versicherte Raffaela, auch ein kleiner Händler könne gut verdienen, wenn er die letzte Mode aus der Hauptstadt in die ferne Provinz bringe. So betrachtete Raffaela die Stoffe mit Interesse. Als Jamba dann die gelangweilten Gesichter der anderen sah, schlug er sich plötzlich mit der Hand auf die Stirn und sagte, ihm sei etwas eingefallen. Die Kleidung des Herrn Loger habe bei seinem tapferen Kampf mit dem Ras doch sehr gelitten, und für einen Soldaten sei es schandbar, unter der Art seines Standes gekleidet zu sein. Er habe da zwei Ladenhüter, die er vor Jahren den Gnomen für teures Geld abgekauft habe, die aber bei den Menschen eigenartigerweise keinerlei Interesse gefunden hätten. Diese Sachen hätten die Reise durch die Wüste nun schon mehrfach hin und zurück mitgemacht. Sie würden nur unnötig Platz auf den Kamellasten wegnehmen.
Jamba verschwand in seinem Zelt, wühlte dort herum und kam mit einem Kettenhemd und einem Mantel wieder heraus. Das knielange Kettenhemd war eine typische Gnomenarbeit von bester Machart. Die winzigen Ringe waren tief geschwärzt und saßen so eng beieinander, daß man die Zwischenräume nur ahnte. Auf der Mitte des Kettenhemdes glänzte matt eine schwarze Brustplatte ohne jede Verzierung. Der Mantel war von der Wolle junger Schafe und schimmerte seidig in einem nachtdunklen Blau. Auch der Dümmste konnte sehen, daß Kettenhemd und Mantel, fügte man nur ein goldenes Wappen auf die Brustplatte und einen feinen Saum um das Tuch, die Kleidung eines Edelmannes waren.
"Wie viel?" fragte Loger und heuchelte geringes Interesse. "Zwanzig Goldstücke", sagte Jamba. Loger trat überrascht zurück. "Ich gebe noch ein Paar Stiefel dazu", beeilte sich Jamba, "dann bin ich schon weit unter dem Selbstkostenpreis". Loger antwortete gewohnheitsmäßig: "Fünfzehn und ich will zuerst die Stiefel sehen".
Jamba holte aus seinem Zelt ein Paar knielange Wildlederstiefel.
"Mit fünfzehn treibst du mich in den Ruin", jammerte er."Aber ich habe nun einmal eine Schwäche für Helden". Loger zählte Jamba fünfzehn Goldstücke in die Hand, und alle paßten auf, daß er nicht mogelte.
Dann nahm er die Sachen und verschwand in Jambas Zelt. Ich winkte den staunenden Barbaren und den schmunzelnden Magier heran und trat dicht vor den Händler.
"Freund Jamba", sagte ich und faßte ihn freundschaftlich an die Schulter. "Was bezweckst du mit diesem Handel?" Jamba sah mich verschmitzt an. "Ich sagte schon, daß ich eine Schwäche für Helden habe. Der junge Soldat scheint ein vielversprechender Mann zu sein, dessen Wohlwollen ich gewinnen will. Das Lied, das ich heute gehört habe, hat mir sehr gefallen. Vielleicht höre ich bald wieder einmal ein Lied von Euren Taten".
Donisl grinste jetzt deutlich boshaft. "Du meinst, in dieser kleinen Welt weiß man nie, wann man sich wiedertrifft?"
"Genau", sagte Jamba, "das weiß man nie".
Loger rief aus dem Zelt: "Schmuggelst Du eigentlich, Jamba?"
"Oh nein", entsetzte der sich, "ich bin noch nie verurteilt worden. Wie kommst Du eigentlich darauf?"
Aus dem Zelt trat ein völlig veränderter Loger.
"Donnerwetter!" rief der Barbar, "Gut siehst Du aus!" kam es von Raffaela und "Elegant, elegant" vom Magier.
Loger hatte erstaunlich gewonnen. Er ließ sich bestaunen und drehte sich mit wehendem Mantel herum. "Soll ich die Kapuze aufsetzen?" fragte er. "Nein", sagte Donisl. "Wir werden noch etwas für Deine Frisur tun, die rote Schleife muß weg, und dann ist alles in bester Ordnung". "Alles mein Werk", strahlte Jamba, "ich wünsche den Herren für die weitere Reise nach Samdavjun alles Gute".
"Es ist immer wohltuend", sagte Loger, "einen wohlinformierten Mann zu treffen". Er korrigierte den Sitz seines Schwertes, damit es im richtigen Winkel unter dem Mantel herausschaute. "Ich werde an Dein Informationsbedürfnis denken". "Sicher, sicher", sagte Jamba und wandte sich strahlend zwei Gnomenfrauen zu, die in den Stoffen wühlten.
Wir gingen weiter durch das Lager, das heißt Loger, der nunmehr Dunkelblaue, schritt vornehm daher und versuchte, den Stil des Magiers zu kopieren.
Am Tor der Burg wurden wir von einem fremden Gnom erwartet, der uns bat, ihn für einige kurze Augenblicke zu begleiten. Rasdis Familie wolle uns danken.
Fontes versuchte zu protestieren, aber ich wies ihn darauf hin, daß so etwas zu den nachträglichen Komplikationen einer Lebensrettung gehöre.
Wir wurden durch einige verwinkelte Gänge in einen Raum geführt, in dem Rasdis Familie in einer Reihe unverschleiert dastand und sich gemessen verbeugte.
Rasdi hatte eine süße kleine Frau und drei noch niedlichere kleine Töchter. Sein älterer Bruder hielt eine aufrichtige Dankesrede, und alles verneigte sich wieder. Dann versicherte uns Rasdis Bruder, die Familie sei sich ihrer Schuld besonders dem Magier gegenüber bewußt und werde ihr möglichstes tun, in angemessener Zeit eine angemessene Summe zu entrichten. Donisl meisterte auch diese Situation. Er schlug vor, man solle sich setzen und vielleicht könne ein Krug Wein gereicht werden, um die Sache in Ruhe zu besprechen. Er schickte Fontes zu den kleinen Mädchen mit dem strengen Auftrag, die Geschichte für kindliche Gemüter bereinigt zu erzählen, und das Heldentum ihres Vaters besonders herauszustreichen.
Raffaela sagte irgendetwas Törichtes über die süßen kleinen Wesen und ging mit Fontes.
Die Männer setzten sich zusammen. Selbst Trent d'Arby verstand, daß jetzt ein Geschäft abgewickelt wurde, und Loger war ganz gespannte Aufmerksamkeit. Donisl trank gemächlich einen Schluck Wein.
"Ich könnte für den Spruch alleine eine erhebliche Belohnung erwarten. Doch es war eine Gemeinschaftsarbeit, und so ist die Sache nicht mehr einfach". Rasdis Bruder nickte. "Aber es besteht für uns alle die Möglichkeit, ausreichend zu gewinnen. Es ist zweieinhalb Tage her, daß der Ras erschlagen wurde. Ein entschlossener Reitertrupp könnte die Stelle bei einem schnellen Ritt in weniger als zwei Tagen erreichen und versuchen, das Fell, die Krallen und die restlichen Zähne zu bergen. Der Gewinn könnte zur Hälfte Eurer Familie zugute kommen. Es besteht ja nunmehr Einigkeit, daß Rasdis Speer bis an das Herz des Untiers reichte. Daher gebührt ihm die Hälfte der Beute. Unsere Gruppe beansprucht die andere Hälfte. Doch Eile tut not. Es könnten noch andere auf die Suche gehen und zufällig Erfolg haben". Donisl sah Rasdis Bruder fest in die Augen. "Aber jetzt ist es noch ein sicherer Gewinn, auf den wir setzen. Euer Anteil sind ein harter Ritt und schnelle Arbeit . Gelingt es nicht, wäre uns Euer Versuch Belohnung genug. Mehr wollen wir nicht beanspruchen". Donisl schlug die Augen nieder. So heimtückisch auf ihre Ehre angesprochen, sprangen die Gnome auf. Ihre Augen glänzten. Rasdis Bruder rief nach einer leichten Rüstung und nach seinem Bogen. Wir wurden mit den anderen Männern nach draußen gedrängt.
Loger beschrieb einem jungen Gnom mit flinken Augen, bei dem er vielleicht eine gewisse Seelenverwandtschaft erkannt hatte, die Stelle, an der der Körper des Ras lag, und die Stelle, an der die unbeschädigten Teile der Gnomenrüstung versteckt waren. Ein älterer Gnom mit wettergegerbtem Gesicht hörte aufmerksam zu.
Dann waren plötzlich Pferde und Kamele zur Stelle, und jemand schrie nach mehr Wassersäcken. Donisl gab ungerührt an, die Hälfte des Gewinns solle an Gregors Gasthaus in Lahee geschickt werden, dann trappelten Hufe, und wir standen allein in einer verwehenden Staubwolke .


[Vorheriges Kapitel][Nächstes Kapitel]


(c) 1993 Holger Provos